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Sängerfest am menschlichen Abgrund

BREGENZER FESTSPIELE / ERNANI

20/07/23 Wie aktuell! Eine gänzlich mit sich selbst beschäftigte Männerwelt, die die Welt an den Abgrund geführt hat... Die Bregenzer Festspiele 2023 wurden mit einer Neuproduktion von Giuseppe Verdi frühem Ernani als Hausproduktion eröffnet. Am Ende gab es abgestuften Jubel für alle Beteiligten.

Von Oliver Schneider

Bei angenehmen Sommertemperaturen durfte man am Mittwoch (19.7.) im schönen Freilichtfoyer am Bodensee flanieren und sich auf einen düsteren frühen Verdi einstimmen: Ernani ist Verdis fünfte Oper. Mit diesem Werk leitete Verdi eine Wende in seinem Schaffen ein, denn erstmalig legte er seiner Musik ein literarisches Oeuvre zugrunde: Victor Hugos heiss umstrittenen Hernani, mit dem er den Weg vom strengen Klassizismus zur Romantik und hin zum Personendrama voller Leidenschaft und Individualität ebnete. Ernani ist auch die erste Zusammenarbeit mit dem Librettisten Francesco Maria Piave, auf die noch viele weitere erfolgreiche Arbeiten folgen sollten.

Erzählt wird in rund zwei kompakten Stunden der Kampf um die Liebe Elviras und Macht zwischen dem vermeintlichen Rebell Ernani, dem greisen Grande Gomez sowie dem spanischen König Carlo, dem zukünftigen Karl V. Wobei die Herren sich letztlich nur um ihre (männliche) Ehre sorgen und dafür kein Blutvergiessen scheuen. Tiefenschärfe und Entwicklungspotenzial fehlt ihnen (noch), dafür dürfen sie immerhin mit verschwenderischen Kantilenen punkten. Volksoperndirektorin Lotte de Beer wirft einen ironisch-karikierenden Blick auf die gänzlich mit sich selbst beschäftigte Männerwelt, die die Welt an den Abgrund geführt hat und in der Elvira als Symbol für alle Frauen zu einer einflusslosen Trophäe für den Sieger der streitlustigen Herren degradiert ist. Fast zumindest, denn immerhin kann sie beim zum Kaiser Karl V. gekrönten Carlo Gnade für den von ihr geliebten Ernani erflehen.

Der Kampf zur Rettung der eigenen Ehre mag zumindest aus westlich-aufgeklärter Sicht heute – wie auch schon zur Zeiten Verdis und Piaves – aus der Zeit gefallen sein, die Macho-Männer, die sich sinnlos – ob Banditen oder Soldaten – aufplustern, um überschüssige Energie abzulassen, wenn sie nicht gerade aufeinander losgehen, sind es nicht. Dabei wirken sie dann aber doch nur lächerlich, wie König Carlo mit nackter Brust und Papierkrone sowie Bergs Tambourmajor gleich, denn die Probleme der Welt können sie mit ihrem überkommenen Gehabe nicht lösen. Am Ende bleibt ihnen nur der Selbstmord mit Dolch – Ernani – oder Gift – Silva –. Sie schaffen es nicht, rational denkend und im Diskurs zu Lösungen zu kommen.

Christof Hetzer hat einen minimalistischen Bühnenraum mit großer Spielscheibe geschaffen, in dem wenige Versatzstücke die unterschiedlichen Spielorte auf verbrannter Erde andeuten. Silvas Schloss wird durch Elviras, an eine Gefängniszelle erinnernde Schlafkammer für ihre Ausweglosigkeit angedeutet, die Aachener Kaisergruft im dritten Akt mit ein paar Grabsteinen und der Festsaal in Ernanis Palast – auch Ernani ist nämlich kein Bandit, sondern ein Herzog – mit ein paar Säulen. Hier können sich die Protagonisten und ihre Gefolgsleute austoben und lustvoll mit Theaterblut herumspritzen. Was ihnen an werkimmanenter Charakterisierung fehlt, haucht ihnen Lotte de Beer ein.

Das Protagonistenquartett ist prominent besetzt. Saimir Pirgu besitzt für den Titelhelden eine reiche stimmliche Farbpalette und punktet vor allem mit Eleganz und Wärme in der bronzenen Mittellage. Franco Vassallo als aufgeplusterter Carlo strotzt nicht nur vor stimmlicher Kraft, sondern vor allem mit modulationsfähigem und kernigem Bariton. Goran Jurić gibt den halsstarrigen, sich am Rollator klammernden Granden Silva mit noblem, voluminösem Bass. Guanqun Yu als Elvira mag es in der Männerwelt schwer haben, lotet aber stimmlich beweglich die Spannweite ihrer Rolle mit Koloraturen, Strahlkraft und vor allem weit gespannten Melodienbögen vollends aus. Der in Bregenz vielbeschäftigte Enrique Mazzola – er ist auch für die Wiederaufnahme von Puccinis Madame Butterfly auf der Seebühne musikalisch verantwortlich – arbeitet den Fatalismus des Werks eher mit leisen, zurückhaltenden und differenzierten Tönen heraus als mit viel Brio am Pult der gut vorbereiteten Wiener Symphoniker. Was für die Sängerinnen und Sänger naturgemäss angenehm ist und jegliches Forcieren verhindert. Gleichwohl gibt es auch die Momente energischen Zugriffs, wenn die Damen und Herren des Prager Philharmonischen Chors (Einstudierung: Lukáš Vasilek) mit gewohnt prächtigem Gesang auftrumpfen.

Schade, sind für die Produktion nur drei Vorstellungen in Bregenz angesetzt. Auf der Seebühne wird übrigens im nächsten Jahr Carl Maria von Webers Freitschütz auf Puccini folgen, während man sich im Haus auf Gioacchino Rossinis Tancredi freuen darf.

Ernani – weitere Vorstellungen 23. und 31. Juli – bregenzerfestspiele.com
Bilder: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

 

 

 

 

 

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