Starke Frauen als Schicksals-Lenkerinnen
ZÜRICH / DIE WALKÜRE
05/10/22 Seit vergangenem April schmiedet das Opernhaus Zürich einen neuen Ring des Nibelungen. Andreas Homoki setzt in seiner Regie aufs Erzählen, während der neue Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda den Klang auffächert.
Von Oliver Schneider
Die letzte Ring-Neuinszenierung liegt in Zürich zwei Jahrzehnte zurück, in der Robert Wilson ebenfalls in hoch ästhetischen Bildern aufs Erzählen setzte. Aber ganz anders. Wie bereits im Rheingold dreht sich bei Homoki auch in der Walküre die Welt mit ihren großbürgerlichJoomlaen, weißen Zimmerfluchten permanent. Erneut befindet man sich in Walhall mit mittlerweile einer protzig vergoldeten Tafel im Speisezimmer dank des erschlichenen Nibelungenschatzes. Oder in Hundings Hütte, dessen Mitte von der mächtigen Weltesche beherrscht wird. Der Raum wird jedoch auch aufgebrochen, wenn Sieglinde und Siegmund sommerlich bekleidet durch den winterlichen Wald irren und vor Hundings Zorn fliehen (Ausstattung: Christian Schmidt).
Nothung in der Weltesche, Walküren und Wotan mit Speer und Schild, alles findet sich im bourgeoisen Bühnenbild und den zum Teil ans 19. Jahrhundert erinnernden Kostümen wieder. Dank der hohen Textverständlichkeit der Sängerinnen und Sänger könnte auch ein Opernneuling dem Geschehen ohne ergänzende Erklärungen folgen. Auf Pferdeattrappen verzichtet das Produktionsteam immerhin. Stattdessen tragen die Walküren Pferdekopf-Helme und treiben zum Walkürenritt ihre hilflosen männlichen Opfer in die Enge. Homoki will doch nicht nur das Wälsungenschicksal und den Verstoß Brünnhildes aus der Götterwelt zeigen, sondern auch, dass es gerade in der Walküre die Frauen sind, welche die Kraft, Macht und das Sagen haben.
Mag es auch scheinen, dass Wotan der Lenker des Geschehens ist, wenn er das Zwillingspaar Sieglinde und Siegmund im Unwetter zusammenführt. Letztlich hat ihn das Erringen des Rings nicht zum Weltbeherrscher gemacht. Zu stark sind die Frauen um ihn. Da ist zum einen Fricka, die sich als immer wieder von ihrem Gemahl hintergangene Ehefrau rächen will. Mit eisernem Willen zeigt sie Wotan, wer die Herrin in Walhall ist und zwingt ihn, seine Hand nicht länger über seinen unehelichen Sohn zu halten. Patricia Bardon gibt die Hüterin der Ordnung mit Strenge, kühler Berechnung und kräftigem Mezzosopran. Sieglindes Ehemann Hunding dient ihr nur als Gehilfe, um Wotans Macht zu brechen. Christof Fischesser verleiht ihm markante Töne und versucht, im Pelzmantel umringt von seinen Germanen-artigen Mannen Sieglinde und Siegmund Angst einzuflössen. Doch auch Sieglinde ist alles andere als eine brave Hausfrau, die ihrem Gatten einen beruhigenden Nachttrunk mixt. Die Wiederbegegnung mit Siegmund stärkt ihren Willen für den Inzest, die Flucht und schliesslich auch das Fliehen vor dem rasenden Wotan, um den nächsten „Helden“ zur Welt zu bringen. Die Bayreuth-erprobte Daniela Köhler ist eine vollblütige, hoch emotionale Sieglinde, die man sich auch als Brünnhilde vorstellen könnte.
Als Brünnhilde gibt Camilla Nylund ihr Debüt. Sie ist die dritte starke Frau, die sich nicht nur Wotans Befehl widersetzt und Siegmund im Kampf gegen Hunding zu stärken versucht, sondern ihren Willen auch mit dem Schutz durch den Feuerring während ihres kommenden Tiefschlafs auf dem Walkürenfelsen durchsetzt. Camilla Nylund punktet mit ihrem immer noch schlank und beweglich geführten Sopran und mehr jubelnden als heroinenhaften Spitzentönen. Das passt hervorragend zum von Gianandrea Noseda fast schon filigran, flüssig geformten Orchesterklang, der eine gewisse Leichtigkeit versprüht. Das ist deal für das kleine Opernhaus Zürich. Auch für die subtil abgestufte Dynamik werden die Protagonisten Noseda und den gut vorbereiteten Musikerinnen und Musikern danken.
Eine Herausforderung ist in dieser Produktion die Partie des Wotan, denn der Rollen-erfahrene Tomasz Konieczny muss alle Facetten von Wotans Charakter nach aussen kehren. Den starken Mann darf er wenig markieren, in den epischen Dialogen mit Fricka im zweiten und mit Brünnhilde im dritten Aufzug muss er einerseits seine Ohnmacht zugeben und andererseits seine Rolle als strafender und gleichzeitig liebend-schützender Vater unter einen Hut bringen. Das gelingt Konieczny berührend, auch wenn man sich stimmlich mehr Farben wünschen würde.
Konsequenterweise ist schließlich Siegmund kein strahlender Held, auch wenn Eric Cutler ihm dramatischen Glanz und geschmeidige Stimmstärke verleiht. Ohne das Einwirken der Götter ist er hilflos und letztlich eine Marionette, die in Zürich auch mit grobem Pinsel beiläufig gezeichnet ist. Erwähnt sei noch das homogene Walküren-Oktett, aus dem sich Julie Adams als Gerhilde in den nächsten Jahren für grössere Partien im Ring empfiehlt.
Weitere Vorstellungen am 5., 8. und 18. Oktober. „Siegfried“ hat am 5. März 2023 Premiere, „Die Götterdämmerung“ am 5. November 2023. Ring-Zyklen sind in der Saison 2023/24 vorgesehen – www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / Monika Rittershaus