Jung, dynamisch und vom Krieg belastet
HINTERGRUND / UKRAINE / JUGENDORCHESTER
27/09/22 Vor drei Jahren war ich beim fast chaotischen Mozartfestival – LvivMozArt – in Lemberg und konnte dort erstmals das Jugendsinfonieorchester der Ukraine hören. Die Krim war bereits besetzt. Von Krieg sprach man damals noch nicht.
Von Wolfgang Stern
Ungefähr zeitgleich mit dem Festival LvivMozArt gründete die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv das Jugendsinfonieorchester der Ukraine (YsOU). Damals wurde sie gerade Chefdirigentin an der Grazer Oper. In Lviv/Lemberg setzte ihre ganze Energie ein, um jungen Menschen die Möglichkeit zum gemeinsamen Musizieren auf hohem Niveau zu ermöglichen. Das Jugendsinfonieorchester besteht auch in den gegenwärtigen Kriegszeiten weiter. Es wird nach wie vor maßgeblich vom Beethovenfest Bonn, vom Bundesjugendorchester Deutschland und dem Sender Deutsche Welle unterstützt. Man hat es unterdessen an renommierte Veranstaltungsorte gebracht, heuer im Sommer etwa zum Lucerne Festival. Nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat das YsOU gemeinsam mit dem Slowenischen Jugendorchester das große Evakuierungsprojekt Music for the Future für junge Musiker aus der ganzen Ukraine in Ljubljana initiiert.
Gewiss prägen Schicksale in den Familien das Leben dieser jungen Menschen, die Heimat ist zurzeit unerreichbar. Es sind nicht nur die Schäden in der Region, in den Dörfern und Städten, an der Infrastruktur, es sind die psychischen Belastungen, die lange wirken werden. Doch diese Jugend im Orchester hat eine Ablenkung vom täglichen Geschehen, und das ist die Musik. Musik kann Inhalt eines bevorstehenden Lebens sein, Musik schafft Energie, vor allem das gemeinsame Erlebnis in Form eines Konzertes kann helfen, teils traumatische Erlebnisse in der Heimat für kurze Zeit zu vergessen.
Solche Gedanken gingen einem durch den Kopf, als das Jgendsinfonieorchester der Ukraine dieser Tage im Rahmen des Festivals Herbstgold im Haydnsaal des Schlosses Esterhazy in Eisenstadt auftrat. Es war ein schöner Moment, diesen bezaubernden jungen Musikerinnen und Musikern – sie sind zwischen 12 und 22 Jahre alt – zuzuhören. Sie hoffen, möglichst lange in dieser Formation zusammenbleiben zu können. Anerkennung tut in einer solchen Situation besonders gut. Dann kommt dem einen oder anderen ernsten Gesicht doch ein Lächeln aus.
Oksana Lyniv – die erste Dirigentin in Bayreuth (Debüt mit dem Fliegenden Holländer), derzeit in Bologna die erste Frau als Leiterin eines Opernhauses in Italien – liegt bei aller Umtriebigkeit liegt ihr YsOU ganz offensichtlich am Herzen, schon gar in diesen herausfordernden Zeiten. Sie hat die richtige Hand für die jungen Menschen. Sie versteht es, zu motivieren und gleichzeitig zu fordern, sie kennt die Grenzen der jungen Leute und führt sie mit Eleganz und absoluter Umsicht durch die Partituren.
Im Programm nahezu aller Konzerte darf gerade jetzt ukrainische Musik nicht fehlen. Beim Eisenstädter Auftritt stand Zoltan Almashi für die ukrainische Gegenwartsmusik. Seine Sinfonietta für Orchester verbindet Traditionelles mit Neoromantik. Weitere Werke waren das Erste Cellokonzert von Camille Saint-Saens mit dem jungen ungarischen Solisten István Várdei und – durchaus herausfordernd für diese Altersstufe – Antonin Dvořáks Sinfonie aus der neuen Welt zu hören. Der Auftritt in Eisenstadt bildete des Schlusspunkt einer Tournee, die am 4. August begonnen beim Festival Junger Künstler in Bayreuth begonnen hat, dort war das YsOU schon 2019 Residenzorchester.