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Verliebter Krampus oder was?

BUCHBESPRECHUNG / MARKOVIC / MINIHORROR

29/02/24 Bäuerinnen aus Keksteig. IKEA-Hotline als Dschungel. Sonnengott in der Gewürzfirma... Barbi Markovićs Roman Minihorror ist eine so skurril-schreckliche, zum Schreien und Gruseln komische Lektüre, wie man es sich nur wünschen kann. Aktuelle „Horror-Meldung“ des Residenz Verlages: Minihorror wurde für die Belletristik-Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse 2024 nominiert.

Von Christina König

Wenn Pop-Art ein Literaturgenre wäre, hätte es in Barbi Marković seine Meisterin gefunden. Ihr Rezept dafür sieht wohl ungefähr so aus: Man nehme banale Alltagssituationen, streiche sie quietschbunt an und überzeichne sie so sehr, dass sie ins Absurde kippen – und zeitweise albtraumhafte Züge annehmen.

Durch diese banalen Alltagssituationen begleiten wir Mini und Miki, ein Paar, das so ist wie wir alle: Sie sitzen in ihren ergonomischen Sesseln, machen einen Kung-Fu-Kurs, lesen Bücher, sollten eine Diät machen. Sie wohnen in Wien, sind aber nicht von hier. Mini kommt aus Serbien, Miki aus einer Kleinstadt „wie aus Marzipan“. Genau wie wir versuchen sie, sich irgendwie durchs Leben zu schlagen. Der erste Satz des Romans gibt bereits vor, wie gut ihnen das gelingt: „Mini und Miki wollen nett sein, aber nichts ist einfach.“

Ganz und gar nicht einfach sind zum Beispiel Minis Verwandte. Beim Besuch gibt es Sprachbarrieren, warmes Bier und peinliche Geschichten über Mini. So weit, so normal. Bis dann alle in den Garten gehen, Mini in eine grabartige Grube hinabsteigt und alle Familienmitglieder sie von oben beschimpfen: „Du weißt nicht, wie wir hier leben! Du bist undankbar! Du sollst nicht über uns urteilen!“ In Mikis Familie ist es nicht besser. Mini muss mit zum Perchtenlauf und erfährt, was sie eh schon aus dem echten Leben weiß: „Sie muss aufpassen, von den verkleideten Männern nicht geschlagen oder vergewaltigt zu werden (…). Sie muss aber auch dauernd auf diese Wesen aufpassen, weil sie zugleich gewalttätig und zerbrechlich sind.“ Als eins dieser Monster Miki anspringt, weiß Mini nicht, ob das noch normal ist, kann ihrem Freund nicht helfen, weil sie das Monster ja nicht verletzen darf. Los wird Miki es erst, als er es fragt, ob es verliebt in ihn ist.

Marković findet sehr eindringliche, bildhafte Szenen, um an Minis Beispiel die familiären Schwierigkeiten und den Groll zwischen Daheimgebliebenen und Weggezogenen darzustellen und in Mikis Fall die Verbindungen zwischen Brauchtum und sexueller Gewalt aufzuzeigen. Auch die Angst vorm Anders-, Queersein bekommt einen Seitenblick ab. Und das sind bei weitem nicht die einzigen Themen, die Marković mit viel Galgenhumor in ihrem Roman aufgreift: Existenzielle Themen wie Tod, Identität und das Miteinander mit all seinen Tücken verarbeitet sie in kurzen, unzusammenhängenden Geschichten ebenso wie Kapitalismuskritik, Pflegearbeit und Gleichberechtigung. Alles kann jederzeit ins Surreale umkippen, alles ist ambivalent („Die Atmosphäre ist heiter und angespannt“). Dabei bricht Marković auch hin und wieder die vierte Wand, zum Beispiel, wenn sie die Leser fragt, wie das so ist mit Privatversicherung und ob man da im Krankenhaus wirklich alle 15 Minuten Snacks bekommt. Das reißt einen allerdings nicht raus aus den Horrorgeschichten, sondern treibt einen eher noch weiter hinein.

Was das Bonusmaterial am Ende (eine Geschichte über eine geschrumpfte Frau und eine Anleitung für ein Partyspiel) mit dem Roman zu tun hat, erschließt sich zwar nicht, die „105 weiteren möglichen Horrors mit Mini und Miki“ sind aber ein origineller Abschluss. Sie bestehen oft nur aus einem Satz mit kleinen Illustrationen wie „Menschen werden wie Produkte öffentlich bewertet. Mini googelt sich selbst“ oder „Muttertag: Alle erwachsenen Frauen inklusive Mini werden von Kindern an Säulen und Möbeln angebunden und gequält.“ Die Botschaft ist klar: Es gäbe noch unendlich viele weitere Momente aus unserem Alltag, die furchtbar sein könnten. Wahrscheinlich jeder einzelne. Die Fragen, die man sich nach Lektüre dieses großartig gruseligen Romans stellt: Ist er wirklich so überzeichnet? Oder steckt mehr Wahrheit drin, als wir gerne hätten?

Barbi Marković: Minihorror. Roman. Residenz Verlag, Salzburg Wien 2023. 192 Seiten, 24 Euro – www.residenzverlag.com
Minihorror wurde für die Belletristik-Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse 2024 nominiert, meldet der Residenz Verlag heute Donnerstag (29.2.). Barbi Marković weiters in der Kategorie Text & Sprache 2024 für den Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft nominiert; Minihorror wurde auf Platz 1 der SWR Bestenliste und der ORF-Bestenliste gewählt. Im Mai steht Barbi Marković als Dozentin im Mittelpunkt der 15. Stefan Zweig Poetikvorlesung unter dem Motoo „Stehlen, spielen, schimpfen“ – www.leselampe-salz.at

 

 

 

 

 

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