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Sein oder fünf sein, das ist die Frage

WIEN / BURGTHEATER / HAMLET

06/09/24 Mit dem Hamlet beginnt die neue Burgtheater-Ära unter Stefan Bachmann. Karin Henkel hat die Titelfigur aufgespalten und zeigt sie uns in vielen Facetten der Verunsicherung und Selbstzweifel. Sie sorgte aber auch dafür, dass es nicht wenig zu lachen gibt in einem Drama latenter Verstellungen und Täuschungen.

Von Reinhard Kriechbaum

Es ist nicht ein Geist, sondern gleich eine ganze Armee. Muss man das Gruseln lernen von diesen wie einem übermütigen Kinderspiel entsprungenen Leintuch umhüllten Figuren, die gleich zu Beginn auf der Bühne und auch im Zuschauerraum umgehen?

Eine von ihnen hat eine schwarze Pappkrone auf. Der ermordete König von Dänemark, wo bekanntlich etwas faul ist im Staate, entpuppt sich als Michael Maertens. Als Regisseur gibt er den Augenloch-Gespenstern Anweisungen, wie glaubwürdig-naturalistisches Theater auszusehen hat. Die ersten Pointen purzeln, und wir dürfen uns gleich drauf einstellen, dass es in den folgenden knappen drei Stunden zwar mit nicht wenig Theaterblut und ergo tödlich, aber alles andere als todernst hergehen wird. Totlachen ist auch letal.

Höchstens ein großes Kind – Benny Claessens, einer von fünf Hamlet-Darstellern, der in dieser Szene in einer kurzen Hose steckt – lässt sich von dieser Geisterei beeindrucken. Schwerer wiegt schon, dass sich des gespensternden Königs Bruder Claudius – wieder Michael Maertens – als ein Versteller sondergleichen geriert. Wer soll sich da auskennen? Ein jeder der fünf Hamlets, drei Männer und zwei Frauen, kriegen die Wahrheit jeweils nur am Zipfel zu fassen, wenn überhaupt.

Oft sind sie gruppenweise auf der Bühne, aus den Monologen werden lebhafte Gespräche. Sie verwickeln sich selbst und einander in Widersprüche. Da zaudert der eine und der andere fuchtelt mit dem Dolch. Tastend oder vorlaut, besonnen oder in den Grundfesten ihrer Existenz erschüttert: Marie-Luise Stockinger, Katharina Lorenz, Tim Werths, Benny Claessens und Alexander Angeletta geben jeweils klar definierte, in sich wiederum gespaltene und wankelmütige Charaktere ab. Und nicht genug damit: All diese Hamlets verwandeln sich wieder in Mit- und Gegenspieler. Ophelia? Polonius? Rosencrantz und Guildenstern? Die Schauspieler schlüpfen flugs in die entsprechende Kostüme.

Viele Figuren wirken also irgendwie der krausen Gedankenwelt Hamlets entsprungen. Nicht aber Claudius (Michael Maertens) und Hamlets Mutter Gertrud (Kate Strong). Die sind ja die Chef-Versteller schlechthin. Kate Strong schleudert viele Shakespeare-Zitate auf Englisch raus. Zum Lachen gibt es da nicht wenig angesichts auch recht deftiger, aber kontrollierter Outrage.

Was man sich gar nicht recht vorstellen kann - wie die Sache dann doch noch die Kurve kratzen soll zur Tragödie. Tut sie auch nicht. Der Lauscher Polonius schlüpft kurzerhand unter ein Geister-Leintuch und wird darin erstochen, Orphelia geht nicht ins Wasser, sondern wird vom Königspaar in Wasserschwällen aus Petflaschen ertränkt. Was da alles gegen Ende passiert, hätten Monty Python sich nicht witziger und parodistischer ausdenken können.

Nicht, dass Karin Henkel den Hamlet neu erfunden hätte, aber es ist eben in der Textübersetzung von Angela Schanalec und Jürgen Gosch vieles sehr plastisch und vor allem mit ironischer Distanz herausgearbeitet. Mit einfachsten Bühnenmitteln. Katrin Brack hat nichts als drei schwarze, leicht schräge Rundpodeste bereitgestellt. Rechts am Bühnenrand ein Klavier und Schlagzeug für die dezent-geräuschhafte Live-Musikuntermalung. Bunte Barockwölkchen ziehen im Hintergrund auf und ab. Die Hauptsache aber sind eben die Freiräume, in denen sich feines Schauspieler-Theater entwickeln darf. Dieses wusste das Premierenpublikum mit allergrößter Begeisterung zu würdigen.

„Wer ist Hamlet? Schwer zu sagen“, heißt es einmal. Karin Henkel sagt es uns auch nicht, aber sie führt uns die Figur in mannigfachen Schattierungen vor und lasst uns damit immerhin unmittelbar nachfühlen: Mit den Fake News ist es so eine Sache... Die fünf Hamlets jedenfalls finden aus dem Wirrwarr nicht wirklich heraus, und das macht sie höchst menschlich und nahbar.

www.burgtheater.at
Bilder: Lalo Jodlbauer

 

 

 

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