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Ein Bulldozer der Rechthaberei

GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / DIE ÄRZTIN

14/12/22 Eine Sympathiefigur sieht anders aus als Die Ärztin Ruth Wolff, die der Brite Robert Icke an die Stelle von Schnitzlers Professor Bernardi gestellt hat. In Graz wird das Stück nun das zweite Mal in Österreich aufgeführt, nachdem der Autor selbst es Anfang Jänner dieses Jahres im Burgtheater inszeniert hat.

Von Reinhard Kriechbaum

Wenn Körpersprache entlarvend ist, dann wirkt Sarah Sophia Meyer in der Rolle der jüdischen Ärztin Ruth Wolff von Anfang an splitterfasernackt. Je begründeter die Einwände sind, die wer auch immer ihr und ihrem Verhalten gegenüber vorbringt, umso mehr lässt sie den Pseudo-Macho raushängen. Da ist jede Geste auf Abwehr gestellt. Ihrem jeweiligen Gegenüber wendet sie sich bestenfalls halb zu. Dass sie ihr oder ihm das Wort abschneidet, ist so üblich wie der schnippische Tonfall. Ein Bulldozer der Rechthaberei.

Es nötigt Respekt ab, wie Sarah Sophia Meyer das durchzeichnet und durchhält. Auch wenn es überdeutlich macht, wie sehr der britische Erfolgsautor Robert Icke in seiner Schnitzler-Paraphrase Klischee an Klischee fügt, ja, dass er eigentlich überhaupt nichts anderes gemacht hat als dem Schnitzler'schen Plot die im aktuellen Gesellschaftsdiskurs üblichen Schlagwörter und Handlungs-Folien umzuhängen. Aber es ist ja der Trick dieser aus dem anglikanischen Raum kommenden Theaterform, dass große Fragen der Gesellschaft fast unverschämt trivial eingekleidet werden. Auch Die Ärztin ist eine solche Boulevard-Tragödie.

Die Ärztin hat einem Priester verweigert, dass er einem Mädchen, das an sich selbst einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hat, die Sterbesakramente reicht. Sogar zu einem Handgemenge ist es gekommen im Gang. Das Video geht viral, der Shitstorm ist unvermeidlich. Sie: weiß, jüdisch, lesbisch. Der Pater: katholisch und dunkelhäutig. Ihr Team: mehrheitlich jüdisch und weiblich. Die Kampffelder sind rasch abgesteckt. Das Einbunkern im Ärzteteam funktioniert natürlich nicht, die Ärztin wird in eine Live-Fernsehsendung gezwungen, wo sie nochmal mit ihrer herablassenden Art alle Sympathien verspielt.

Die in Holland geborene Regisseurin Anne Mulleners und ihre Bühnenbildnerin Vibeke Andersen haben einen Satz aus dem Schlussdialog beim Wort genommen. „Wir sollten Krankenhäuser so schön bauen wie Kirchen“, sagt die Ärztin da zum Priester. Ein Bühnenbild aus schlanken, hohen Säulen. Die können als Kreis einen Käfig bilden oder als geschwungene Kolonnaden aufgestellt werden. Jedenfalls kein klassisches Spitals-Interieur. Auf diesen schmalen Säulen verfangen sich die per Live-Kamera eingefangenen oder vorproduzierten Video-Projektionen. Wirkt gut, weil die Brüchigkeit, ja Fadenscheinigkeit dieser Figuren und der von ihnen vertretenen Ansichten gespiegelt wird.

Es kommt aber auch ziemlich schonungslos heraus, wie plakativ der Autor argumentieren lässt. In der Originalsprache funktioniert die Überschreibung des Schnitzler-Stoffs gewiss besser, in der deutschen Übersetzung ist es eher eine aufdringliche Anhäufung der gängigen Diskurs-Floskeln und Vokabeln. Ein sehr hoher Haufen an Wort-Müll, durch den sich auch das Publikum erst durchkämpfen muss. Im Original steckte durchaus hinterhältiger Witz. Aber hier erlebt man gute zwei Stunden lang nur, wie Themen „abgehandelt“, „durchdekliniert“ werden. Solche Ausdrücke assoziiert man viel eher als „gespieltes“ Theater. Selten mal so viel Händeringen gesehen.

Ein Trick des Autors wird beibehalten: Er will dezidiert Männer- und Frauenrollen durcheinander gewirbelt sehen. Der Diskurs soll nicht von der Gender-Thematik geleitet werden. Das könnte funktionieren, wenn die Frauen in Männerrollen nicht dauernd vorführen wollten, dass sie die besseren Männer (mit allen derer schlechten Eigenschaften) sind. Da wird die gut gemeinte Sache eigentlich ad absurdum geführt. Das gilt auch für die Besetzung einer Arzt-Rolle mit einem dunkelhäutigen Schauspieler. Inklusion schön und gut – Textverständlichkeit wäre dann doch wichtiger als die Hautfarbe. Irgendwie geht einem in Graz durch den Kopf, dass man ein Zerrbild von inklusivem Theater vorgezeigt bekommt.

Einer Nebenrolle galt offenbar die besondere Sympathie der Regisseurin: Sami (Daria von Loewenich) ist eine junge Transgender-Person, die sich der Ärztin anvertraut, die da in kurzen Momenten zur Hörenden wird. Gerne würde man mehr solch durchgearbeiteter Personenbeziehungen sehen statt marktschreierischer Plakativität.

Glücklicherweise bleiben noch zehn ruhige Minuten am Schluss. Da sind die sprichwörtlichen Leichen aus dem Keller geholt, die Karriere und das Privatleben der Ärztin sind ruiniert. Das erste Mal wirkt sie unaffektiert, begegnet ihrem Gegenüber auf Augenhöhe. Sie ist allein mit dem Priester. Ein ernsthafter Dialog ohne Verstellung, ohne Gestikulieren. Die Ärztin ist ganz bei sich selbst. Zwei Menschen stehen jeweils für ein System, für eine Ideologie. Das Humanum ist wohl zu lange auf der Strecke geblieben. „Mensch sein ist nicht einfach“, sagt der Priester. Und das klingt mehr wie eine Erkenntnis als ein Vorwurf an die Frau, die zu rabiat ihren Mann gestellt hat.

Aufführungen bis 24. Jänner 2023 – www.schauspielhaus-graz.at
Bilder: Schauspielhaus Graz / Johanna Lamprecht

 

 

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