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Sie waren ja gar nicht so übel, die Deutschen

LESEPROBE / HENISCH / NICHTS ALS HIMMEL

15/08/23 Am 27. August feiert der Autor Peter Henisch seinen 80. Geburtstag. Heute Dienstag (15.8.) erscheint sein neuer Roman Nichts als Himmel. Dieser spielt in San Vito und in der „versteckten Wohnung unter den Dächern der italienischen Kleinstadt“. Dort begegnet der Musiker Paul Spielmann einem der Clandestini, einem der Flüchtlinge aus Afrika. – Hier eine Leseprobe.

Von Peter Henisch

Nichts als Himmel

Chiuso per lavori di ristauro? – Zwei alte Männer, die auf der steinernen Bank neben dem Eingang saßen, nickten. Was denn für Renovierungsarbeiten? Sie hoben und senkten die Schultern. Gibt es keinen anderen Eingang? Sie schüttelten die Köpfe. Aber das musste ich nicht so hinnehmen. Ich würde schon meinen Eingang finden.
Ich ging außen an der Mauer entlang. Auf der Ostseite, in der Via Dimomede Leoni, fast unmittelbar unter der Terrasse, von der ich sonst herunterschaute, war ein zugemauertes Tor. Darüber standen ein paar lateinische Worte eingraviert und in lateinischen Ziffern eine Jahreszahl – aber zu hoch oben –, ich konnte das nicht lesen.
Ich ging weiter. Immer an der Mauer entlang. Ich umrundete die Gärten zwei Mal. An der Westseite konnte ich nicht unmittelbar neben der Mauer gehen, da wurde ich nach links auf die Straße abgelenkt. Rechts war eine mit stachligem Gesträuch fast zugewachsene Böschung.
Zwei Mal ging ich daran vorbei. Aber als ich zum dritten Mal dorthin kam, bemerkte ich die Schneise. Einen schmalen Durchschlupf zwischen Brennnesselstauden und Klettengesträuch. Da wand ich mich durch. Und dann stand ich vor einem Gittertor.
Auch das war verschlossen. Aber hier konnte ich ein Stück hinaufklettern. Daneben stand ein Baum, der mir behilflich war. So kam ich also doch noch in die giardini. Ich hatte mir die Hände zerkratzt. Aber die Kamera war unversehrt.

Ich schaute mich um. Wo war ich? Hier war ein großer Platz mit schütterem Gras. Eine Tribüne aus Holz. Ein niedriges Podium. Etwa fünfzig Meter weiter ein schmaler Torbogen, davor eine in der Sonne vertrocknete, ausgeblichene Zielscheibe. Das war offenbar der Turnierplatz, von dem die Trafikantin erzählt hatte, der Platz, an dem ihr Neffe beinahe den Preis im Bogenschießen gewonnen hätte, wenn nicht der Wind ...
Jetzt war es, im Gegensatz zu damals, sehr windstill. Zwei Schmetterlinge (Zitronenfalter) umtanzten einander und stiegen dabei immer höher und höher. Ich versuchte sie zu fotografieren, aber die Konturen ihrer Flügel waren kaum mehr vom Hintergrund der heißen, weißen Luft zu unterscheiden. Aus den Wipfeln der Steineichenreihe, an deren Rückseite ich mich jetzt offenbar befand, klang fortissimo der Chor der Zikaden.
Hinter der Tribüne war ein Hügel aus grauen, von Moos und Gestrüpp überwachsenen Gesteinsbrocken. Reste eines vor langer Zeit eingestürzten Gebäudes, wie mir schien. Und ich fragte mich, ob und wann es hier ein Erdbeben gegeben hatte. Terremoti, sagte Achille, der plötzlich neben mir stand, sodass ich erschrak, Erdbeben haben wir hier auch schon manchmal gehabt, aber das hier – und er wies auf den Trümmerhaufen –, das hier haben die Deutschen vor ihrem Rückzug 1943 angerichtet.
Das war La Torre del Cassero, sagte er, der Wachturm. Von dem aus konnte man das ganze Tal überblicken. Und umgekehrt sah man ihn schon aus der Ferne. Früher war er strategisch wichtig gewesen, aber in den neueren Zeiten war er nur mehr ein Wahrzeichen. Unser Turm. Er war nicht besonders schön, ehrlich gestanden, war er hässlich. Ein Klotz von 39 Metern Höhe, nur ganz oben ein winziges Fenster. Aber er war unser Turm. Ein Bauwerk, das etwas mit unserer Identität zu tun hatte. Und die Deutschen haben ihn gesprengt.

Sie waren ja zuerst gar nicht so übel, die Deutschen, die hier stationiert waren. Ein bisschen arrogant, das ja, ein bisschen präpotent, das auch, aber im Großen und Ganzen kultiviert. Aus den Fenstern des Hauses, das sie okkupiert und zur Kommandantur erklärt hatten, war manchmal Klaviermusik zu hören. Ich war damals ein ragazzo von sieben, acht Jahren, ich wohnte mit meinen Eltern nicht weit von dort entfernt, ich ging öfter hin vor dieses Haus, um der Musik zu lauschen. Da spielte oder übte jemand zum Beispiel die Variazioni Goldberg. Natürlich kannte ich den Namen dieser Musikstücke damals noch nicht. Aber in meiner Erinnerung sind es immer die GoldbergVariationen. Da stand ich und lauschte. Die Wachsoldaten, die links und rechts vom Portal postiert waren, sahen freundlich drein. Manchmal schenkte mir einer ein Stück Schokolade.

Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlages

Peter Henisch: Nichts als Himmel. Roman. Residenz Verlag, Salzburg 2023. 256 Seiten, 26 Euro – www.residenzverlag.com
Bild: Residenz Verlag / Lukas Beck

 

 

 

 

 

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