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Erasmusjahr für Anzugträger

BUCHBESPRECHUNG / THERESIA TÖGLHOFER / TATENDRANG

30/10/24 Konfliktherd. Horizonterweiterung. Leuchtturmprojekt. Die Young Professionals der Europäischen Außenzentrale spielen ein Spiel: Wer nicht schnell genug ist, muss trinken. Willkommen in Theresia Töglhofers EU, in der echter Idealismus untergeht in „operativen Sprint-Meetings“. „Abteilungssitzung“ sagt man nicht mehr.

Von Christina König

Innovationskreis“ – so nennen Hanna Fürst und ihre „Arbeitsgruppe Zukunft“ das Projekt, das zwei verfeindete Staaten in der Peripherie Europas endlich in den demokratischen Glanz der westlichen Welt tauchen soll. Innovationskreis deshalb, um die „doppelt innovative Ausrichtung“ des Projekts zu betonen. Was genau das heißen soll, dafür hat die Protagonistin jede Menge Phrasen, die verdecken, dass so richtig Plan eigentlich niemand hat. Aber der Name ist immer noch besser als der, der der Arbeitsgruppe zuvor eingefallen ist. Nämlich „Kreis der Nicht-Freunde“, in dem alle zusammenarbeiten, aber schwören, einander keine Gefallen zu tun, wegen der Vetternwirtschaft.

Theresia Töglhofer hat einen beißenden, entlarvenden Roman über die EU geschrieben, über ihre Ideale, ihre Realität und über den weiten Raum, der dazwischenliegt. Auf der Seite der Realität stehen die Protagonistin Hanna und die anderen 499 Young Professionals, die ein viermonatiges (unbezahltes) Praktikum lang beweisen dürfen, dass sie es wert sind, übernommen zu werden. Für sie geht es um alles Mögliche, nur nicht darum, tatsächlich etwas Sinnvolles zu tun. Sie sind nur eine Gruppe High Potentials mit blattgoldbesprenkelten Manschettenknöpfen, die stolz sind, wenn sie im Parlament „Die Delegation der Europäischen Außenzentrale beantragt die Schließung der Fenster“ sagen dürfen, und die ihre Zeit bei feministischen Filmabenden, globalisierungskritischen Debattenclubs und Yogarunden verbringen.

Auf der anderen, idealistischen Seite steht zum Beispiel Lej, eine NGO-Gründerin und ehemalige Aktivistin, die aus der besagten europäischen Peripherie stammt. Sie scheint die Einzige zu sein, die den Zirkus der Klemmbretter und Schönrederei durchschaut. Aber auch sie kommt nicht dagegen an und flüchtet sich in die innere Kündigung, aus der Hanna sie nicht herausbringt.

Als Analystin für die Außen- und Erweiterungspolitik der EU weiß Töglhofer, wovon sie schreibt – und das merkt man auch. Ebenso geschickt wie gewitzt zeichnet sie ein Bild der EU, über das man schmunzeln könnte, wenn man nicht befürchten würde, dass es in Wahrheit genau so oder zumindest ähnlich abläuft. Töglhofers Szenen sind wunderbar symbolträchtig: Gleich bei ihrem ersten Eintritt in die Zentrale läuft Hanna mehrere Runden durch die Drehtür, eine Episode, die schon andeutet, wie sehr sich alle ihre zukünftigen Bemühungen im Kreis drehen werden, wie redundant und ausweglos sie sind – vielleicht auch: wie redundant und ausweglos ihre ganze Arbeit ist. Und auch der Name „Innovationskreis“ hat ja etwas Egoistisches. Ein Kreis bricht niemals aus, führt nirgends hin, dreht sich stets um sich selbst.

Besonders gut gelingen Töglhofer die Gegenüberstellungen von Sein und Schein. Da wird man mit einem Sektbecher beschossen, wenn man behauptet, durch Teamwork auf einen guten Plan gekommen zu sein, und gleich darauf wird von den Vorzügen von Zusammenarbeit geschwärmt. Da wird eine beeindruckende Architektur mit Glasstegen in luftigen Höhen bemüht, neben denen die Flaggen der Mitgliedsstaaten flattern, damit die Besucher überzeugt von der Genialität der Zentrale sind, und dabei krachen dauernd Vögel gegen das Glas und verenden qualvoll. (Dafür gibt es die sogenannte „Vogelgruppe“, deren Mitglieder mit Sprungtuch am Boden herumrennen und sich bemühen, die Vögel aufzufangen.) Und da gibt es Hanna, die sich reinhängt, um nach dem Young-Professionals-Programm übernommen zu werden, und die in Wahrheit nicht mal weiß, ob sie überhaupt Diplomatin sein will. Lej bringt es auf den Punkt: „Du bist hier, weil du niemanden störst.“

Dass Hanna dann doch mal jemanden stört, das wissen wir von Anfang an. Im Prolog ist sie knapp davor, verhaftet zu werden. Von da an springt Töglhofer zurück an den Anfang von Hannas Praktikum, spinnt in Episoden, die so prägnant, pointiert und kurz sind wie die Aufmerksamkeitsspanne der Generation, die die „Arbeitsgruppe Zukunft“ ansprechen will, ihre Geschichte weiter. Wichtige Elemente flicht sie ganz nebenbei ein. Oft merken wir erst zu spät, was wichtig gewesen wäre. Direkt ausgesprochen wird wenig – auch die zum Scheitern verurteilte Liebesgeschichte zwischen Hanna und Lej bleibt nur angedeutet. Das ist eine der Stärken des Romans, dass er nicht alles verrät, uns warten lässt, nicht so richtig in die Charaktere hineinsehen lässt. Dafür hat er sich Applaus verdient. Wir machen das allerdings nicht so wie Töglhofers EU-Festgesellschaft, die „applaudierte, als hätten alle nur darauf gewartet, wieder etwas zu tun zu haben“. Wir meinen das auch so.

Theresia Töglhofer: Tatendrang. Roman. Residenz Verlag, Salzburg, 2024. 256 Seiten, 25 Euro – www.residenzverlag.com

 

 

 

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