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Sein und Schein und Rollenspiele

BUCHBESPRECHUNG / STAHL / FRAUEN, DIE BEIM LACHEN STERBEN

29/05/24 Iris hatte zwei Freundinnen und einen Lebensgefährten. Jetzt hat sie niemanden mehr. Sie nimmt eine Auszeit und versucht, herauszufinden, was passiert ist. Also eine Geschichte über Freundschaft, über Beziehungen? Ja, aber nicht nur. Alexandra Stahl hat einen Roman über Lebensgeschichten geschrieben, wahre und falsche, so warmherzig wie scharfsinnig.

Von Christina König

Iris ist um die vierzig und ist in ihr Leben eher so reingerutscht: Den Großteil ihres Erwachsenenlebens wohnt sie in Berlin, weil man halt in Berlin wohnt, und arbeitet in der Verwaltung einer Künstlerresidenz, bis sie in der Corona-Pandemie bemerkt, dass sie nicht den Rest ihres Lebens damit verbringen möchte, Künstlern ihre Notizbücher und Kaschmirpullover hinterherzuschicken. Dann ist da noch die Sache mit ihren Freundinnen Katja und Ela, denen sie einmal nah war und jetzt fern ist. Von ihrem Lebensgefährten Simon ist sie schon länger getrennt, und das einzig Überraschende daran ist, dass sie überhaupt einmal mit ihm zusammen war.

Alles in allem: Zeit für einen Neuanfang.Iris reist nach Griechenland, eigentlich nur ein paar Tage. Dann bleibt sie ein paar Monate. Und reflektiert, was passiert ist – und was jetzt passieren soll.

In Rückblenden zeichnet Alexandra Stahl das Portrait einer klassischen Frauenfreundschaft mit all ihren Höhen und Tiefen, das zufällige Kennenlernen in einem Café, die betrunkenen Nächte in Bars, die kleinen und großen Grausamkeiten. Denn Stahl schreckt auch nicht vor den negativen Seiten einer Freundschaft zurück. Als da etwa sind die Zumutung, den Liebeskummer der Freundin ertragen zu müssen, die Veränderungen, die mit neuen Partnern in die Freundschaft kommen, die irrationale Wut auf die Freundin, die man manchmal einfach nicht aushält, die Tatsache, dass man manchmal nur befreundet ist, weil sonst einfach keiner da ist. Genauso präzise ist ihre Beschreibung einer Beziehung, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war – mit dem narzisstischen, distanzierten Schriftsteller, der einen satirischen Gothic-Roman schreibt und nicht über sich selbst lachen kann, wenn er mal auf die Nase fällt.

Bunt, detailreich und charmant lässt Stahl ihren Roman fließen. Die Geschichte liest sich flüssig und angenehm. Gleichzeitig beweist Stahl auch, wie genau sie beobachten kann, wie psychologisch geschickt sie ihre Geschichte webt. Die Charaktere wachsen plastisch aus dem Papier, bleiben an den richtigen Momenten unverständlich. Genauso laufen Freundschaften, mal warm und innig, mal abwesend und verletzend. Sie brechen ebenso leicht auseinander, wie sie zusammengefunden haben, und nicht immer gibt es den einen, einzigen Grund. Alle, die an zerfallenen Freundschaften zu kauen haben, werden sich irgendwo wiederfinden.

Die Freundschaften, die Beziehungen werden in Rückblenden präsentiert, aber mehr Platz nimmt die Rahmenhandlung in Griechenland ein. Das mag kurz irritieren, bis sich all die Nebenhandlungen zusammenfügen zu Lebensgeschichten – Geschichten, die wir uns selbst erzählen, die wir anderen erzählen. Bilder, die wir uns von uns selbst und von anderen machen, und alles, was diese Bilder wieder übermalt. Da gibt es den Griechen mit Goldkettchen, den Iris als militanten Impfgegner einschätzt, bis herauskommt, dass sogar seine Freundin ihn verlassen hat, weil er geimpft ist. Da gibt es die Vorstellungen, die man sich vom Leben in Berlin macht, und die Realität. Da gibt es Ela, die sich mit jedem Mann neu erfindet, sich sogar anders nennen lässt. All diese und noch viel mehr Geschichten erleben wir aus Iris’ Perspektive, die, wie jede Perspektive, natürlich subjektiv ist. Das deutet Iris auch selbst an: „Ich bin nicht gut im Geschichtenerzählen, ich vergesse wichtige Teile, ich fange mit der falschen Szene an, ich finde den Weg nicht zur Pointe, ich vergesse die Pointe.“ Es könnte also alles auch ganz anders sein. Der Roman lädt ein, unsere Vorurteile, unsere Erwartungen, unsere Perspektiven zu hinterfragen, offen zu sein für neue Lesarten und Erfahrungen. Genauso offen endet auch der Roman. Ein passendes Ende für eine Geschichte, die nichts fertig erzählt – weil niemals etwas fertig ist.

Alexandra Stahl: Frauen, die beim Lachen sterben. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2024. 224 Seiten, 23 Euro – www.jungundjung.at

 

 

 

 

 

 

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