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Alle laufen davon. Wer nicht davonläuft, läuft hinterher.

BUCHBESPRECHUNG / KAŚKA BRYLA

09/10/20 Als ihr Kindheitsfreund Tomek verschwindet, zögert Mania nicht. Gemeinsam mit der Hackerin Ruth, dem geflüchteten Syrer Zahit und der Hündin Sue verfolgt sie Tomeks Fährte von Wien nach Warschau. Wie Detektive im Kriminalroman tragen sie unverdauten Seelenballast zusammen, bis die Puzzleteile ein Bild ergeben. Die Spurensuche dient Kaśka Bryla aber nur als Folie. Die Autorin möchte mehr.

Von Katharina Bruckschwaiger

In ihrem Romandebüt Roter Affe, erschienen im Residenz Verlag, werden Fragen des Fremdseins, des Heranwachsens und der psychischen Widerstandsfähigkeit verhandelt und nebenbei auch noch alteingebrannte Gut-Böse-Dichotomien negiert. Was nach viel klingt, ist es auch und wird dem ansonst sehr vielversprechenden Text zum Verhängnis.

Ja, dieser nicht müde werdende Roman liefert Problemkonstellationen am laufenden Band. Da wäre etwa Tomeks und Manias Kindheit, zwischen Wien und Warschau verlebt, die die beiden Migranten zweiter Generation früh für unterschiedliche Lebenswirklichkeiten sensibilisiert. Da wären gemeinsam durchgestandene Familientragödien und ein Vorfall in der Schule, über den beharrlich geschwiegen wird. Beide, Mania und Tomek, könnten das Geschehene nicht unterschiedlicher verarbeiten. Der in sich gekehrte Tomek, der gerne in Aphorismen denkt, begegnet der Außenwelt seither schreibend. Mania, die Macherin, lässt sich zur Gefängnispsychologin ausbilden und begibt sich proaktiv auf Rachefeldzug. Da wäre der gestrandete Zahit, der ohne Papiere in Tomeks Wohnung Unterschlupf findet und seit seiner Flucht unter Angststörungen leidet. Anders als Tomek und Mania fällt er auf, wenn er auf die Straße geht. Da wäre auch noch Ruth, Manias Ex-Freundin. Eine jüdischstämmige Migrantin dritter Generation, deren Großeltern 1968 aus dem kommunistischen Polen „ausgewandert wurden“. Nach und nach blickt sie hinter Manias Maskerade. Zahit begegnet sie aufgrund ihrer eigenen Familien(flucht)geschichte abgeklärt.

Halbseitig streiten die beiden (beinahe) über Israel und so richtig begeistert darüber, dass er sich von zwei Frauen etwas sagen lassen muss, ist Zahit auch nicht. Außerdem wären da noch Tomeks psychisch erkrankte Freundin Marina und die Hündin Sue; auch sie darf in einem Jack-London-Moment für knappe eineinhalb Seiten ein Eigenleben entwickeln.

Kaum überraschend werden die großen Themen bei einer solchen Dichte nur angetastet. Der Roman verpasst die Gelegenheit mit seinen Figuren zu arbeiten. Stattdessen verlässt er sich voll und ganz auf seine krimiähnliche Handlungsstruktur. Die Charaktere bleiben schal, weil sie sich ausschließlich über ihre knapp skizzierten Backstory Wounds legitimieren. Vermutlich hätte der Verfolgungskrimi nur den Rahmen liefern sollen. Tatsächlich beansprucht er aber viel Raum für sich und lässt den übriggebliebenen Gehalt in der Hinterkammer poltern.

Dass man Kaśka Bryla trotzdem verdammt viel abnimmt, liegt an ihrer nie wertenden, geradezu selbstverständlichen Art, die Dinge beim Namen zu nennen. Der Prolog etwa liefert eine in Rot getauchte Kindheitserinnerung, die an erzählerischem Geschick ihresgleichen sucht. Die gebürtige Wienerin offenbart ein enormes Gespür für kräftige Bilder und Szenen, die im Grunde gut für sich allein sprechen könnten. Selbst dann, wenn am Ende von allem etwas zu viel übrigbleibt.

Kaśka Bryla: Roter Affe. Roman. Residenz Verlag, Salzburg Wien, 2020. 240 Seiten, 22 Euro. Auch als e-Book erhältlich - Www.residenzverlag.com
Bild: Residenz Verlag / Krahl

 

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