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Ein Schlagersänger und eine Feministin

GRAZ / DIAGONALE / SIEGERFILME

11/04/22 Es war eigentlich eine aufgelegte Sache: Ulrich Seidls auf der Berlinale uraufgeführter Film Rimini ist am Sonntag (10.4.), dem letzten Tag der Diagonale in Graz, als bester österreichischer Spielfilm dekoriert worden.

Von Reinhard Kriechbaum

Es sei ein Film, „der uns nicht vergessen lässt, dass großes Kino mit dem Leben zu tun hat (dem eigenen), während es von anderem träumt. Ein Opus magnum, veramente“, schwärmt die Jury in ihrer Begründung. Sie lobt das „souveräne Zusammenspiel aller Gewerke, jedes für sich genommen preiswürdig perfekt“ und holt zu einer geradezu poetischen Eloge aus: „Dieser Film ist eine Winterreise. Ein Zyklus von Liedern. Homecoming als Versuch der Generationen. Buongiorno, tristezza auf Österreichisch, nah am Wasser gebaut, hingebungsvoll bis zum Höhepunkt, singend bis ans Ende. Eros und Thanatos aus dem Wurlitzer, Sehnsucht und Empathie. Das Leiden so echt wie falsch. Mamarufe durch Mark und Bein. Geschichtsgetränkt in den Spuren aus dem Reich (auf der Ton- wie der Gefühlsebene), aufgewacht in der irgendwie verbesserungswürdigen Willkommenskultur. Gestrandete allenthalben, ob an der Adria oder im Heim. Schweißgetrieben, am nasskalten Strand.“

In der Sparte Dokumentarfilm wären einige Filme preiswürdig gewesen. Da wäre – aus aktuellem Anlass – Juri Rechinskys Signs of War über einen Kriegsfotografen, der 2014/15 auf der Krim und im Donbas die Vorzeichen einen sich anbahnenden größeren Krieg in der Ukraine sehr anschaulich dokumentiert hat, eigentlich die erste Wahl gewesen. Auch Denn sie wissen, was sie tun von Gerald Igor Hauzenberger über die großen Anti-Corona-Demonstrationen wäre jederzeit in Frage gekommen. Die Wahl fiel schließlich auf Sabine Derflinger für Alice Schwarzer. Dieses Doku-Porträt ist ein geradezu wollüstig-materialreicher Verschnitt aus Archivaufnahmen und aktuellen Gesprächs- und Interviewsituationen. Von Alice Schwarzers legendärem Streitgespräch mit Esther Vilar bis zu ihrem öffentlich viel weniger wahrgenommenen Engagement gegen Prostitution oder für die Rechte iranischer Frauen ein üppiges Kaleidoskop. In diesem Zusammenschnitt versteht man viele Vorurteile gegen Alice Schwarzer, lernt aber auch eine humorvolle, immer noch höchst vitale und durchaus auch mit Selbstironie begabte Kämpferin in Sachen Feminismus kennen. Die Jury lobt den Mut der Filmemacherin, „sich nicht von Vorurteilen vereinnahmen zu lassen“. Es sei die Erzählung einer „vielseitigen Geschichte, getrieben von Empathie und Neugierde zugleich, für das kunstvolle Zusammenfügen von Szenen und Sequenzen, die weder chronologisch noch thematisch streng geordnet sind und doch einer klaren inneren Logik folgen, für den großen Reichtum an Interviews und Archiven aus aller Welt, kunstvoll verflochten, und für die Chance, Geschichte neu zu erleben und zu verstehen“. Sabine Derflinger hat schon zum zweiten Mal den Doku-Hauptpreis eingeheimst. 2020 war in Graz ihr Film Die Dohnal gekürt worden.

Insgesamt wurden heuer siebzehn Filmpreise im Wert von rund € 185.000 vergeben. Die Diagonale-Schauspielpreise gingen an Julia Windischbauer für Para:dies sowie an Georg Friedrich für Große Freiheit (Regie Sebastian Meise). Para:dies hätte man sich durchaus auch als Siegerfilm vorstellen können – eine fiktive Frauen-Beziehungsgeschichte mit dokumentarischer Anmutung. Das Publikum wird ziemlich im Unklaren darüber gelassen, ob die Filmemacherinnen (Elena Wolff, Julia Windischbauer) – zugleich Hauptdarstellerinnen – nicht doch ihre eigene Geschichte nachspielen. Dem ist nicht so, kam in der Diskussion nach der Uraufführung heraus.

Das Publikum durfte natürlich auch wählen: Der Publikumspreis ging an Verschwinden / Izginjanje von Andrina Mračnikar.

www.diagonale.at
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