Buchstabengetreu, aber kleinlich
KOMMENTAR
Von Reinhard Kriechbaum
04/12/24 Erst heute Mittwoch (4.12.) hat Festspielintendant Markus Hinterhäuser betont: Es gebe überhaupt keinen, aber schon so was von gar keinen anderen Grund für die Vertragsauflösung mit Marina Davydova als eben jenes Theaterfestival in Berlin, an dem sie ohne die eigentlich nötige obrigkeitliche Genehmigung mitgewirkt hat.
Dass ihm das keiner, absolut keiner abnimmt, ist natürlich klar. Zu minder ist der Anlassfall. Das Festival Festival Voices Performing Arts, das den November über in Berlin stattgefunden hat, galt Exilkünstlern, die mehrenteils infolge des Angriffskrieges auf die Ukraine aus Russland und der Ukraine emigriert sind – so wie Davidova selbst, der man bei Kriegsausbruch, nachdem sie sich gegen den Krieg positioniert hatte, ein „Z“ als unmissverständliche Botschaft an die Wohnungstür gemalt hatte. Auf Putins Abschussliste stand sie, die Moskaus Theaterszene ordentlich aufgemischt und befeuert hatte, schon geraume Zeit.
Voices Performing Arts hat ganz wenig Resonanz gefunden, ist im kulturreichen Berlin beinah untergegangen und hat sich in die Ferne überhaupt nicht durchgesprochen. Es wäre also für die Festspiele ein Leichtes gewesen, beide Augen zuzudrücken. Ihr Hinausschmiß ist, so es denn keine anderen Gründe gäbe (die einem Beobachter von außen schon einfielen!), mehr als kleinlich.
Über Davydovas Rolle beim Berliner Festival kann man natürlich streiten und es wird auch gestritten werden: Auf der Website sind nach wie vor allein sie und der Komponist Sergej Newski als Artistic Committee ausgewiesen. Kein eigentlicher Festivalchef. Ist das nun mehr Leitung oder künstlerische Beratung?
Die Rede ist jetzt davon, dass Marina Davydova nun die Vertragsauflösung beeinspruchen wolle. Auch heißt es, die Rechtsbeistände hätten ihr davon abgeraten, mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Gegenseite sieht sich auch im Recht. Markus Hinterhäuser verwies im ORF-Interview darauf, dass die Sache schließlich vom Festspielkuratorium abgesegnet worden sei, „und dort sitzen vorwiegend Juristen“.
Was jetzt? Vielleicht wäre wieder mal ein vertiefendes Brainstorming in Sachen Schauspiel bei den Festspielen und dessen Leitung gefragt. Immerhin waren dereinst Leute wie Peter Stein oder Iván Nagel, Jürgen Flimm (später Intendant) und Martin Kušej hierorts Schauspielchef – ein Niveau, an das man schon geraume Zeit nicht herankommt. Davydovas unmittelbare Vorgängerin Bettina Hering wurde vom St. Pöltner Landestheater weg engagiert, und die denn doch eher nur in Russland weltberühmte Marina Davydova hat sich dort zwar bleibende, aber politisch derzeit unerwünschte und deshalb unterdrückte Verdienste erworben – war das eine wirklich tragfähige Perspektive für ein mitteleuropäisches Großfestival wie die Salzburger Festspiele?