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Kein Jugendorchester können wir uns nicht leisten

GASTKOMMENTAR

07/02/23 Es steht im Moment nicht nur das Weiterbestehen des Mozart-Kinderorchesters auf dem Spiel. Sendepause hat auch das Landesjugendorchester Salzburg. Das wird nicht einmal in der Kulturszene wirklich wahrgenommen. DrehPunktKultur hat Norbert Brandauer um Überlegungen zum Thema Jugendorchester gebeten.

Von Norbert Brandauer

Das Mozart-Kinderorchester soll nach der Mozartwoche 2023 nicht mehr klingen dürfen. Das ehemalige Landesjugendorchester Salzburg, in den letzten Jahren als Jugendsinfonieorchester von der Universität Mozarteum weitergeführt, ist seit Mitte 2022 ebenfalls „still gelegt“. Die zeitliche Nähe dieser bedenklichen Entwicklungen ist wohl Zufall. Dass aber jetzt in Salzburg dringender Handlungsbedarf besteht, steht für mich außer Zweifel.

Mit wie viel Einsatz das Mozart-Kinderorchester und das Landesjugendorchester aufgebaut worden sind, wissen diejenigen, die es mit großem Engagement und langem Atem getan haben. Mit wie vielen Schwierigkeiten, aber auch mit welcher Kreativität die beiden Orchesterformationen die Zeit der Coronamaßnahmen bewältigt haben, kann man sich von außen schwer vorstellen. Jedenfalls haben beide Ensembles diese Zeit „überlebt“.

Über Monate war es nicht möglich, gemeinsam zu musizieren. Viele von uns haben die Bilder von Kindern, alleine in ihren Zimmern und per Livestream ihr Instrument vorspielend, in Erinnerung. Jetzt aber ist die Zeit wieder da, wo wir den Kindern und Jugendlichen das Angebot machen könnten, sich in ein Orchestergefüge einzubringen und mit Gleichgesinnten und Gleichaltrigen Musik zu machen. Gerade jetzt sollten wir uns das nicht mehr leisten können oder wollen? Anders gefragt: Können wir es uns als Gesellschaft leisten, ihnen Ausdrucksmöglichkeiten und Gemeinschaft zu entziehen?

Nichts kann zum Verständnis von Musik mehr beitragen als sich hinzusetzen und selbst Musik zu machen“, sagte Leonard Bernstein. Ich möchte noch hinzufügen: Gemeinsame Erfahrungen in Zusammenspiel, Singen und Musizieren, können für Kinder und Jugendliche lebensbestimmend werden. Solche Erfahrungen sind gerade jetzt „not-wendig“.

Im speziellen Fall des Mozart-Kinderorchesters und des Landesjugendorchesters geht es um besonders begabte, besonders für Musik empfängliche Jugendliche. Wir sind in Österreich ja so stolz darauf, wenn wir mit unseren großartigen Orchestern in der Welt glänzen können. Diese hohe Orchesterkultur braucht einen Boden, auf dem neue Pflanzen wachsen können. Vieles gehört dazu – Frühförderung, familiäres Umfeld, Singen, das „Finden“ des eigenen Instrumentes. Dazu kommt noch etwas Essentielles: Gemeinschaft im Musizieren.

Ich stimme nicht mit denen überein, die sagen: „Zuerst muss ein Instrument in Perfektion beherrscht werden, Orchestererfahrungen können die jungen Leute später sammeln.“ Nein, es soll Hand in Hand gehen. Natürlich braucht es eine solide, gute Instrumentalausbildung, wie sie zum Beispiel im Musikum angeboten wird, aber es braucht auch ein Hineinwachsen in eine Kultur des gemeinsamen Spiels.

In meiner Tätigkeit als Dirigent des Landesjugendorchesters Salzburg habe ich viele junge Musikerinnen und Musiker erlebt, die durch das Orchesterspiel ihre Motivation für das Weiterlernen am Instrument behalten haben. Ich habe einen Kontrabassisten vor Augen, der jetzt in einem Spitzenorchester engagiert ist. Er ist durch das Jugendorchester „am Ball“ geblieben. Oder eine Fagottistin, die über das Orchesterspiel die Begeisterung für ihr Instrument so vertiefen konnte, dass sie jetzt bei einem renommierten Professor studieren kann.

Es geht aber um noch mehr: Im Wort Persönlichkeit steckt per-sonare, durch-klingen. Das erlebst du auch, wenn du im Orchester am letzten Pult spielst. Wie viele junge Menschen haben sich im Orchester in diesem Sinne persönlich weiterentwickeln dürfen. Sie haben gelernt, zuzuhören – wie gut wäre es für uns alle, würden wir sensibler zuhören! Sie haben gelernt, sich in eine Gemeinschaft einzufügen und gleichzeitig die eigene Stimme zu finden und zu entwickeln – auch ein wichtiges Modell für unsere Gesellschaft.

Der Philosoph Byung-Chul-Han spricht über unsere Zeit von „Kommunikation ohne Gemeinschaft“, von einer „Erosion der Gemeinschaft“ und von „kollektivem Narzissmus“. Was wir bitter nötig haben sind Gelegenheiten, in wirklicher Gemeinschaft verbindende Emotion zu erleben. Das ist zuhörenden und musizierenden Menschen möglich.

Alle, die sich im Bereich Kinderorchester, Jugendorchester verantwortlich fühlen und Positives bewirken wollen, sollten sich jetzt an einen Tisch setzen. Wie können wir in Salzburg ein entsprechendes Angebot für Kinder und Jugendliche einrichten?

Es ist unvorstellbar, dass es am Geld scheitert. Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, uns kein Landesjugendorchester und Landeskinderorchester – wie immer es heißen mag – zu leisten.

Norbert Brandauer, Musiker und Musikpädagoge, ist seit 2007 künstlerischer Leiter des Landesjugendorchesters Salzburg
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