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Dialekt schreiben? Längst salonfähig

STICH-WORT

30/09/22 „Dialektschreiben ist salonfähig. Es gibt sogar eine Wikipedia auf Bairisch, auf Alemannisch oder in anderen – geschriebenen – Dialekten. Dabei wird keineswegs ausschließlich Lokales verhandelt. Vielmehr haben die Betreiber den Anspruch, sich inhaltlich nicht einzuschränken.“ Das berichtete die Schweizer Sprachwissenschaftlerin und Dialektologin Helen Christen in Salzburg.

„Vor unseren Augen spielt sich gewissermaßen ein Remake früherer Zeiten ab, als sich im Deutschen erst langsam eine schriftliche Einheitssprache herausbildete. Das war vor einigen Jahrhunderten. Davor schrieb man volkssprachlich – damals: notgedrungen – im Dialekt.“

„Im Süden des deutschsprachigen Raumes erlebt das Schreiben im Dialekt – insbesondere in den sozialen Medien – einen enormen Aufschwung.“ Das berichtete die emeritierte Schweizer Schweizer Professorin für Germanistische Linguistik jüngst in Salzburg beim 7. Kongress der „Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen“ auf – eines der Indizien für die „inzwischen breite gesellschaftliche Akzeptanz des Dialektschreibens“.

Doch warum gibt es dieses Bemühen um Parallel-Enzyklopädien im Dialekt? „Die Verschriftlichung des Dialekts dient offensichtlich dazu, dem Dialekt Ansehen zu verleihen.Es geht nicht darum, die Standardsprache als Schriftsprache in Frage zu stellen. Vielmehr wird mit Dialekt, der für Sachprosa gebraucht wird, deutlich gemacht, dass dieser in seinen Ausdrucksmöglichkeiten keineswegs eingeschränkt ist. Es geht um Dialektschreiben im Dienste des Dialekts“, so Helen Christen.

Zur Selbstverständlichkeit geworden ist das Dialektschreiben inzwischen in den sozialen Medien. Der geschriebene Dialekt vermittelt dort die Vertrautheit der gesprochenen Sprache, erklärt Helen Christen. Die Assoziationen von Informalität, Nähe und Zugehörigkeit, die gesprochenem Dialekt anhaften, übertragen sich auch auf den getippten Dialekt. „Die Chats haben sich dabei als Wegbereiter einer regionalen Schriftlichkeit erwiesen, wie dies der Germanist Bernhard Kelle bereits vor zwanzig Jahren prognostiziert hat“, so Christen.

Im Süden bzw. Südwesten des deutschsprachigen Raumes ist das Chatten im Dialekt für viele junge Leute eine gängige Schreibalternative, wie Befragungen belegen. In Salzburg zum Beispiel schreiben sechs von sieben Studierenden auch im Dialekt, ähnlich viele sind es zum Beispiel im bairischen Bamberg. Im Norden Deutschlands, etwa in Essen, hingegen schreiben deutlich weniger junge Leute im Dialekt, zumal die meisten ihn auch nicht beherrschen.

Das Dialektschreiben bekommt zudem dadurch zahlenmäßigen Aufwind, dass ganz im Süden Junge nicht bloß enge Vertraute im Dialekt anschreiben, sondern zunehmend auch Vorgesetzte. Da die beruflichen Hierarchien eher eingeebnet werden, wird der Dialekt möglich als Sprachform für SMS und Chats usw. auch mit Vorgesetzten.Die gesellschaftliche Akzeptanz des Dialektschreibens findet Helen Christen zahlenmäßig auch im Projekt „What’s Up Switzerland“, das Chats aller vier Sprachregionen der Schweiz umfasst, klar bestätigt. Ziel ist es, die sprachlichen Merkmale der WhatsApp-Kommunikation zu beschreiben und mit SMS-Nachrichten zu vergleichen. „In Bezug auf das Deutsche zeigt sich eine deutliche Bevorzugung des Schweizerdeutschen gegenüber dem Standarddeutschen. Das Zahlenverhältnis ist 6:1. Eine Befragung bei Studierenden aus Freiburg i. Ü. (Freiburg im Üechtland, Anm.) und Berufsschülerinnen aus Baden ergibt zudem, dass bloß sieben Prozent der Befragten ausschließlich Hochdeutsch schreiben, alle anderen auch Dialekt.“

Die verschiedenen Beobachtungen zum Boom des Dialektschreibens (in der Schweiz gibt es sogar schon Nachfragen nach einer verbindlichen Dialektorthographie) bewertet Helen Christen nicht nur als Anzeichen für eine zunehmende Gebräuchlichkeit des Dialektschreibens, sondern auch als Indiz für eine „konzeptionelle Zweischriftlichkeit“, die für das informelle Schreiben verbindlich den Dialekt vorsieht. (PLUS/dpk)

Der 7. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD) fand an der Paris Lodron-Universität Salzburg statt. Thema „Dialekte im sozialen Raum. Formen – Verwendungen – Bedeutungen“. 150 Forschende vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch aus Belgien, Italien, Finnland, Ungarn, Thailand und den USA stellten ihre Arbeiten vor. Organisiert wurde der Kongress von einem Team um Stephan Elspaß, Andrea Ender und anderen.
Bild: www.unifr.ch

 

 

 

 

 

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