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„Der Vorhang zu und alle Fragen offen“

SCHAUSPIELHAUS / DER GUTE MENSCH VON SEZUAN

02/10/12 „Es ist die Natur des Fräuleins, Gutes zu tun“, heißt es einmal über Shen Te. Ungeachtet ihres alten, aber wenig ehrenhaften Gewerbes ist die junge Frau von den Göttern dazu ausersehen, modellhaft für den guten Menschen als solchen zu stehen.

Von Reinhard Kriechbaum

Was sollten sie auch tun ohne gute Menschen? Ohne dass sie es sich eingestehen würden, steht ihre Position am Spiel. Nur zu verständlich also, das die drei Götter – leicht blasiert und weltfremd, aber mit ungebrochenem Optimismus – absteigen auf die Erde, um einen guten Menschen zu finden. Dass sie sich für ein Bündel Geldscheine, als zahlende Gäste also, für ein paar Nächte einmieten bei Shen Te, setzt eine Maschinerie in Gang, die das lautere Unternehmen fast zu Fall bringt. Shen Te nämlich will augenblicklich ihr Dasein als Freudenmädchen beenden und investiert in einen Tabakladen. Sie, die niemanden leiden, hungern, wohnungs- und arbeitslos oder was auch immer sehen kann, muss sich plötzlich in der Privatwirtschaft behaupten. Da gibt es Fußangeln sonder Zahl. Um immer wieder spontan helfen zu können, greift sie zu einem drastischen Mittel: Sie schlüpft gelegentlich in die Rolle eines zwar erfundenen, aber in den Augen der Mitmenschen kreditwürdigen Onkels.

Frischblut für den alten Brecht: Für junge Leute spielen all die Eleven des Schauspielhauses Salzburg sein Stück „Der gute Mensch von Sezuan“. Bernadette Heidegger, eine Theatermacherin, die ihre Ohren ganz nahe am jungen Publikum hat (sie leitet auch das Theaterspielen im Musischen Gymnasium), bleibt ganz nahe an der literarischen Vorlage. Sie belässt den Figuren ihren holzschnittartigen Charakter. Hat sich Brechts Marxismus-nahe Ideologie überlebt? Es schadet wohl nicht, junge Leute damit zu konfrontieren. Dass sie in diesem 1943 uraufgeführten Bühnentext überlegenswerte Dinge entdecken für unsere Zeit des ausgeklinkten Neo-Liberalismus und der aus dem Ruder laufenden globalisierten Wirtschaft, ist den Teenies wohl zuzutrauen. Bernadette Heidegger bricht zwar gelegentlich, auf „Kurzstrecke“ sozusagen, den Tonfall, aber sie setzt nicht auf Aktualisierung . Und schon gar nicht auf Lösung. „Der Vorhang zu und alle Fragen offen“: Brechts Epilog passt genau.

Der juvenile Schwung trägt das junge Publikum über die eigentlich gar nicht so kurzen zweieinhalb Stunden. Katharina Pizzera ist Shen Tui, im blütenweißen Kleidchen. Die Aufrichtigkeit und der Gute Wille in allegorischer Reinkultur. Als vermeintlicher Onkel Shui Ta zupft sie die rote Blume aus dem Haar, malt sich einen Schnurrbart-Strich auf und zieht einen grauen Anzug (oder gar nur die Hose) über.

Pralle Figuren sind drum herum arrangiert, das gesamte Brecht’sche Arsenal an Volkstypen, Bösewichtern, Tunichtguten. Und natürlich auch die Identifikationsfiguren wie der Wasserverkäufer Wang (Benjamin Lang), der für die geschundene Kreatur selbst steht. Die drei Götter (Eva Weingärtler, Lisa Liebler, Magnus Pflüger) schlüpfen auch in andere Rollen, so wie das übrige Eleven-Ensemble (Anna Katharina Frommann, Nenad Subat, Stefan Wunder). Rollenspiel lässt sich gut üben und ausleben an Brecht.

Das Bühnenbild ist „second hand“ (es gehört eigentlich zum „Blauen Engel“). Es birgt viele Möglichkeiten und viel Auslauf. Eine knackfrische Aufführung alles in allem, die zur Nachbereitung nicht nur im Deutschunterricht taugt, sondern auch in den wirtschaftskundlichen Fächern und natürlich in Religion. So gut kommen die Götter bekannterweise nicht weg bei brecht. Wenn es der armen Shen Te so richtig dreckig geht, führen sie große Sprüche im Mund wie „Leid läutert“ oder „Des guten Menschen Kraft wird wachsen mit der Bürde“. Gut, dass Brecht auch geschrieben hat: „Die guten können sich nicht helfen und die Götter sind machtlos. Warum haben die Götter nicht Tanks und Kanonen?“

Aufführungen bis 24. Oktober – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Marco Riebler

 

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