Worüber hat er mit mir geschwiegen?
REST DER WELT / WIEN / REQUIEM FÜR ERNST JANDL
24/12/14 „Ich habe gesehen, habe gehört, wie die Stimme des Vogels untergeht.“ So Friederike Mayröcker bald nach dem Tod jenes Menschen, der für sie fast ein halbes Jahrhundert lang Lebensmensch war.
Von Reinhard Kriechbaum
Das „Requiem für Ernst Jandl“ ist der so gut wie unmittelbar niedergeschriebene Totengesang auf den Gefährten. „Wenn deine Seele blutet … wie solltest du da nicht Worte finden …“ – Und was für Worte hat sich die Mayröcker damals abgerungen! Jeder Satz eigentlich Musik, auch wenn sie selbst liest, mit ihrer wienerisch gefärbten, im Timbre vielleicht monotonen, aber eben in der Artikulation präzisen und darob so ganz und gar nicht eintönigen Stimme.
Diese, die Stimme, ist auf der Bühne. Nicht die Mayröcker. Sie hat den Text aufgenommen, Teile daraus werden eingespielt, während ein Musikergrüppchen um den Pianisten und Komponisten Lesch Schmidt für eine jazzige Soundkulisse sorgt. Mit von der Partie: Dagmar Manzel. Die Berlinerin bringt eine ganz andere Farbe ein in einen Abend, den Hermann Beil vielleicht etwas hochtrabend, jedenfalls deutlich zu optimistisch „Ein Szenisches Melodram“ untertitelt hat. Die Sache firmierte als Uraufführung (der im Akademietheater unmittelbar keine Wiederholungen folgen) – und natürlich als Geburtstagsfest für Friederike Mayröcker. Sie wurde am Samstag (20.12.) neunzig Jahre alt.
Wie also sieht die Szene aus? Das Wesentliche ist die große Leinwand, auf der immer wiederkehrend vier Fotos des Lyriker-Paares projiziert werden. Bilder aus verschiedenen Lebensphasen. Klein kommen sie daher, man zoomt hinein, oft auf Jandl mit seinen immer schon anachronistisch anmutenden Hornbrillen, gelegentlich auch auf Elfriede Mayröcker. Es geht in dem Text ja auch wesenhaft um sie selbst, um ihre Er-Lösung. „Daß man weiter mit diesem Herz- und Liebesgefährten sprechen kann … und vermutlich die Antworten erwarten darf …“ sagt sie einmal. Wie vehement musste sie sich mit seinem Sterben auf sich selbst zurückgeworfen fühlen! „Auf welcher Handynummer wirst Du dann erreichbar sein, wenn es so weit ist?“
Besonders prägt sich jenes Foto ein, in dem die beiden nebeneinander sitzen, unverwandt in die Kamera blicken und die Hände wie Vorzugsschüler nebeneinander auf die Oberschenkel gelegt haben. Ahnt man da die Vertrautheit, das Aufeinander-bezogen-Sein des Lyriker-Paares? Bei aller Nähe haben sie nie eine gemeinsame literarische Arbeit in Angriff genommen, wahrscheinlich nicht mal entfernt angedacht.
Wie viel stärker wirkt jedenfalls ein solches Bild im Gegensatz zur Musik, einer Auftragskomposition von Lesch Schmidt. Oft grummelt, nein, wabert dieser kammermusikalische Jazz, unter Mayröckers Stimme gelegt, dahin. Das hilft dem Text keineswegs weiter, erschwert nur die Wahrnehmung der Zwischentöne. Da sehnt man immer wieder den Knopf auf der Fernbedienung herbei, mit dem man das musikalische Environnement leiser drehen könnte. Wenn Schmidt abwinkt, empfindet man das als wohltuend.
Die Musik unterschiebt dem Text allzu Unverbindliches. Da erinnert sich die Mayröcker des „Rauschens der Stille“ (kann das wirklich Anlass für ein Crescendo sein?), an ein gemeinsames Sitzen am Ufer mit Jandl, „mäandernd und händehaltend“, „zuweilen reißend, hinreißend“: Ja, eben nicht plätschernd. Die jazzigen Vokabel und Klangfarben sacken gegenüber Mayröckers Wort-Dichte ab. Vielleicht ist der Jazz als von formelhaften Wendungen ausgehender Musikstil per se grundfalsch, um mit Mayröckers Dichtkunst gepaart zu werden.
Anders sieht es aus, wenn die Musik für kurze Zeit für sich alleine steht – da wird man doch einiger Originalitäten gewahr, vor allem in der Instrumentation, wenn der Bassist kurz mal zur Tuba wechselt oder der Saxophonist zur Flöte greift und mit dem Geiger frisch dialogisiert. Immer etwas unbelichtet: der hinter Plexiglaswänden akustisch gedimmte Schlagzeuger.
Und noch einmal anders ist es, wenn in diese Kammermusik Dagmar Manzel einbezogen ist: Einige Male nimmt sie summend quasi eine weitere Instrumentalfärbung wahr, in einigen interpolierten Musik-Szenen wird aber Mayröcker-Text aufgegriffen. Die Singstimme bleibt bei ihrem Rhythmus, wird nicht im Melodie-Perioden gezwungen. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber endlich text-adäquat sperrig (weil die Musik ja sonst meist flusig weichzeichnet).
Durchaus verhaltener Beifall für die Musiker, aber natürlich dann Standing Ovations für die neunzigjährige Literatin. Die Umwandlung ihres „Requiems für Ernst Jandl“ zum „Szenischen Melodram“ hat sie zu dem Anlass wirklich nicht verdient.