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Theater-Wutbürger in eigener Sache

 

REST DER WELT / STEIRISCHER HERBST / A PÁRT

20/10/14 Zwei Seelen, wohnen, ach, in seiner Brust. Die zweite, die in seiner ungarischen Heimat ortsansässige, wird gerade arg malträtiert. Der derzeit vor allem als Opernregisseur international nachgefragte Árpád Schilling arbeitet ja immer noch, wie seit zwei Jahrzehnten, mit seinem ungarischen Ur-Ensemble Krétakör (Kreidekreis).

Von Reinhard Kriechbaum

So eine freie Gruppe mit subversivem Gespür für politischen Ungeist hätte im Ungarn Orbáns alle Hänge voll zu tun, wenn man sie nur ließe. Aber gerade dieses Ungarn meint es – logischerweise – nicht gut mit Schilling und Krétakör: Man hat ihnen und anderen aufsässigen Theatermachern schlichtweg den Geldhahn zugedreht.

Da steht er also jetzt, mit einer kleinen Marx-Büste im Arm, und hebt zu einer Philippika an über die Schlechtigkeit der ungarischen Welt. Ein Wortschwall, bei dem sogar die Live-Übersetzerin heiß zu laufen droht. Vielleicht hat es ja auch sie, in der Kabine unbemerkt, so gemacht wie Árpád Schilling auf der Bühne und sich flugs aller Kleider entledigt. Da steht er also nackt da und hält einen Stift hoch: Wer im Publikum seinerseits eine Botschaft an die ungarische Regierung hat, möge sie auf seine Haut schreiben. Fände sich vielleicht sogar einer im Publikum, nach ein paar Schrecksekunden. Aber so weit lässt man es nicht kommen. Ein Mitglied der Theatergruppe schreibt „Ende“ auf den Rücken des Unbekleideten, woraus sich ein erregter Disput, eine Schreierei, ein Handgemenge entwickelt. Da will die Sache hin: Seine Landsleute seien viel zu schnell bereit, sich mit der derzeitigen politischen Lage zu arrangieren. Das ist die Kurzbotschaft des Abends.

Árpád Schillings Stimmung derzeit: eine Mischung aus Ingrimm und Mut der Verzweiflung, Betroffenheit über politische Lethargie im Land und schneidendem Sarkasmus. Dominant ist ein etwas ins Kraut schießender Mitteilungsdrang von alledem. Kurz: das genaue Gegenteil von Distanz zu sich selbst und zur Situation.

„A Párt – Die Partei – The Party“. So heißt die Produktion, die weiter zu entwickeln Árpád Schilling also eingeladen ward zum letzten Wochenende beim „steirischen herbst“. Das Stück wurde noch vor den ungarischen Parlamentswahlen erarbeitet. Es ging bei „A Párt“ ursprünglich darum, wie die Bürgerschaft einer Kleinstadt absäuft im populistischen Kielwasser der Orbán-Partei. Nun, so Schilling, habe aber die Realität sein Stück eindeutig überholt. Und so hat er es als Ganzes verworfen, hat quasi einen neuen Titel drüber geklebt: „The Party is over – but we keep on going!“

Eine Rock-/Pop-Band ist auf der Bühne, ein großes Sofa. Familie Schilling intim und im Diskurs mit ihren Theater-Freunden. Alle maximiert subjektiv und ich-bezogen. In kleinen, mehr oder weniger überzogenen Szenen wird vorgespielt und vorgesungen, wie sie alle nach und nach in die Fänge des Populisten in Gestalt eines Filmproduzenten geraten. Gleich zuerst, nach feministischem Input durch eine Freundin, gerät die Frau des Regisseurs auf die schiefe Bahn: Sie wirft sich in die Arme eines Filmproduzenten, auch wenn Schilling als Zorro verkleidet die Muskeln spielen lässt. „Arpi“, sagt sie fast hämisch, „such dir eine Amnesty-Aktivistin.“

Der Produzent steht in dem deftigen Überredungs-Spiel für den Populisten neuen Stils: „Wir müssen edle, freie Tiere essen“, proklamiert er als kulinarischen Leitspruch, worauf die Mitglieder der Band sich gleich mal Felle umhängen – und munter weiter spielen. Subtext geflissentlich übersehen, sorry. Attila, ein Filmemacher spricht vor: Er möchte eine Doku drehen über einen Homosexuellen, der in einem Dorf in den Selbstmord getrieben wurde. Kläglich scheitert er am Produzenten, der sinngemäß doziert: Man muss die Menschen lieben, sich nicht an ihnen reiben, dann werden sie einem nachlaufen...

Die knapp anderthalbstündige Performance mündet in eine parodistische Szene, in der Árpád Schilling in die Rolle des Imre Kertesz schlüpft. Dem alten Herren, Literatur-Nobelpreisträger und Holocaust-Überlebender, nimmt Sachilling übel, dass er den Sankt-Stephans-Orden, die höchste Auszeichnung des ungarischen Staates angenommen hat. Gipfelpunkt blinder Anpässlerei, befindet Schilling. Und so lässt er sich denn auch jetzt in seinem neuen Stück am Ende mit Pomp einen Engel mit Flügeln überreichen. „Du musst ihnen Versöhnung beibringen.“

Mit fast verlegenem Beifall hat man das nach der Aufführung in Bad Gleichenberg quittiert. Warum man gerade mit dieser Produktion, die politisch brisant sein will (aber vom mehrheitlich juvenilen Publikum wohl im Einzelnen nicht dechiffriert worden ist) in den äußersten Zipfel der südoststeirischen Pampa, nach Bad Gleichenberg gegangen ist, versteht keiner. Ein paar Kilometer wären es nur noch nach Ungarn. Wenn schon nicht in die hauptstädtische Höhle des Löwen, wenigstens über die Grenze hätte man gehen können damit. Das wäre dann wenigstens ein Signal gewesen. So ist der Wutbürger-Aufschrei eines Theatermanns verpufft, in der tiefsten Provinz und vor falschem Publikum. Und zu „A Párt“ selbst muss man wohl sagen: Es fehlt dieser Theaterarbeit von Árpád Schilling ganz erheblich an Distanz. Die Perspektive kommt nie auch nur einen Millimeter über den Anlassfall hinaus. Schilling geriert sich als Theater-Wutbürger in eigener Sache. Auch wenn mit starken Wörtern und nackter Haut nicht gegeizt wird, kratzt es einen wenig. Und das ist der denkbar schlechteste Befund über eine Sache, die ambitioniert aufrüttelnd gemeint wäre.

Bilder: steirischer herbst / Wolfgang Silveri

 

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