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Die Macht von Platées Reizen

REST DER WELT / WIEN / PLATEÉ

19/02/14 Robert Carsen versetzt im Theater an der Wien Jean-Philippe Rameaus satirisches Tanzdrama „Platée“ in die Pariser Modewelt. Und Les Arts Florissants bestätigen ihren Ruf als führende Formation für den französischen Barock, auch wenn William Christie krankheitshalber aussteigen musste.

Von Oliver Schneider

067Eine verblendete Sumpfnymphe verliebt sich in den Göttervater Jupiter. Wie erzählt man das einem heutigen Publikum, das nur noch wenig Bezug zur Antike hat? Für Robert Carsen ist das ein Kinderspiel – ihm und allen Beteiligten brandete am Montagabend (17.2.) nach drei kurzweiligen Stunden ein Jubel entgegen, wie er in Wien nur selten zu hören ist. Sogar im Theater an der Wien.

Während einer White-Party (in antiken Togen) animieren Thespis, Momus und Thalia die zu „House“-Rhythmen abtanzende, aber eigentlich gelangweilte Gesellschaft zu einem bösen Spiel. Sie wollen die Eitelkeit der ältlichen, hässlichen Platée, die ihrer Meinung nach – so gar nicht in den Kreis der selbsternannten Schönheiten passt, strafen.

Die Satire kann ihren Lauf nehmen: Von nun an bilden die schillernden Pariser Modesalons den Ort der Handlung, wo Platée sich in einer eleganten Bar zum Schrecken der snobistischen Damen und mehrheitlich schwulen Herren mani- und pedicuren lässt und auch sonst alles Mögliche macht und sagt, was nicht ganz ladylike ist. Auf den hübschen Cithéron (ausgezeichnet Marc Mauillon) hat die Dame ihren Blick geworfen, der zum Chef de Rang und Spielhelfer von Mercure (stilvoll und nuanciert Cyril Auvity) geworden ist. Förmlich zurechtgeknetet wird die gute Platée als nächstes von zehn Masseusen und Masseuren zu einem der vielen Ballett-Divertissements, für die Nicolas Paul jeweils abwechslungsreiche eigene Bewegungssprachen geschaffen hat. Nicht einmal hat man an diesem Abend das Gefühl, dass eine Tanzeinlage ein retardierendes Element sein könnte. Im Gegenteil, Carsen und Paul zeigen eindrücklich, wie Gesang und Tanz sich in diesem Ballet-bouffon ergänzen.

068Mercure und Cithéron reden der von sich eigenommenen „Schönheit“ ein, dass der Modegott selbst ein Auge auf sie geworfen hat. Bei Carsen ist das natürlich Karl Lagerfeld (stimmlich sonor Edwin Crossley-Mercer). Nun heisst es noch, ein aufreizendes rotes Kleid überwerfen, damit der Modezar sie vielleicht gleich noch für die Präsentation seiner nächsten Kollektion entdeckt und sie ihm nicht nur sonst mit ihren weiblichen Reizen zusagt. In der folgenden Modeschau muss sich Platée noch mit dem Zusehen begnügen.

Bis Lagerfeld endlich die Treppe herunterschreitet, erlebt sie zum Einstimmen noch eine Chippendale-artige Männerparade. Dann kommt er endlich zu ihr, und sie darf für Fotos posieren, über die sich später ganz Paris amüsiert. In die nächste Runde geht das böse Spiel mit Platée mit dem Auftreten von La Follie alias Madonna. Das Theater an der Wien hat für diese Partie Simone Kermes engagiert, die damit ihr Debüt in einer französischen Barockoper gibt. In ihrer Bravourarie „Dem Schmachten Apollos verweigerte sich Daphne“ darf auch sie für einmal eine andere Seite ihres Könnens zeigen und singend parodieren. Sie fügt sich gut in die Gesamtensemble-Leistung ein und beweist auch noch ihr tänzerisches Talent in ihrem Revue-würdigen Auftritt.

Im  dritten Akt ist Platée endlich am Ziel ihrer Träume angekommen: in einer Luxussuite gemeinsam mit Karl Lagerfeld, wohin das Paar von ihren „Freunden“ begleitet wird. Gemeinsam mit dem vermeintlichen Liebhaber hockt die ganze Bagage im Bett vor dem Flatscreen, kokst noch rasch eine Runde, bevor das Paar endlich unter die Decke schlüpft. Doch nun hat das Spiel ein Ende, denn die eifersüchtige Ehefrau – Juno (streng Emilie Renard) – glaubt ihren untreuen Gatten mal wieder erwischt zu haben. Bis sie die Bettdecke hebt und Platée erblickt. Da kann auch sie nur lachen. Mit so einer rothaarigen „Schönheit“ betrügt ihr Göttergatte sie nicht, dessen kann sie sicher sein. Zurückbleibt eine vielleicht geläuterte, auf jeden Fall schwer enttäuschte Platée. Ob die Spielmacher auch etwas gelernt haben? Viel besser stehen sie in ihrer eigenen Verblendung nämlich nicht da.

069Für die Partie der Platée hat Rameau einen hohen Tenor vorgesehen, denn gerade so lässt sich zeigen, dass diese Frau keine gewöhnliche ist. Doch einen Tenor finden, der mit diesem Travestiespiel einen ganzen Abend reissen kann, ist nicht ganz einfach. In den neunziger Jahren war es Paul Agnew, der in Paris in einer Inszenierung von Laurent Pelly brillierte. Die Produktion unter der musikalischen Leitung von Marc Minkowski war auch an den Salzburger Pfingstfestspielen konzertant zu Gast. Die neue Platée heißt Marcel Beekman, der seinem großen Vorgänger in nichts nachsteht. Er bietet pures Seh- und Hörvergnügen, wobei Rameau ihm nicht nur schöne Töne in den Mund legt. Er scheint sich selbst köstlich in seiner Rolle zu amüsieren.

Paul Agnew ist auch wieder mit von der Partie, allerdings mittlerweile am Pult für den kurzfristig ausgefallenen William Christie. Er animiert das französische Orchester Les Arts Florissants zu pulsierendem, gewohnt durchsichtigen Spiel. Die Musikerinnen und Musiker lassen auch unter seiner Leitung Musizierlust voller Intensität und Frisch hören. Zum Gelingen des Abends trägt einmal mehr schliesslich der Arnold Schoenberg Chor (Einstudierung: Erwin Ortner) erheblich bei, der gemeinsam mit der Statisterie auch spielerisch stark gefordert ist. Neben einem solchen Abend verblasst die letzte Staatsopernpremiere leider noch mehr.

Weitere Vorstellungen: 19., 21., 24., 26. und 28. Februar – www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Monika Rittershaus

 

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