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Goldrahmenerinnerungen?

REST DER WELT / LINZ / WIR SIND HUNDERT

20/01/12 Ein saftiges „Ich“ wäre endlich mal gefragt, aber sie sagt: „Wir sind bereit“. Und so kommt es schon am Beginn genau so, wie es kommen musste und wie es bisher immer gekommen ist: Die Frau wird nicht vom Dach springen, weil die Seelen, ach, in ihrer Brust sich zu Wort melden.

Von Reinhard Kriechbaum

In dieser Brust ringen nicht zwei Seelen, sondern drei. Plus fünfzig Prozent gegenüber dem guten alten Goethe also. Eine Frau – und erst eine Frau der Postmoderne – ist etwas entschieden Komplexeres als der vergleichsweise simpel gestrickte Faust. Das weiß der 1978 geborene Jonas Hassen Khemiri. „Wir sind Hundert“ ist das Stück eines bekennenden Frauenverstehers. Es wurde am Donnerstag (19.1.) in Linz uraufgeführt.

Drei sympathische Damen also im verbalen und handfesten Gerangel ums unerreichbare „Ich“. „Wir fangen von vorne an“, beschließen die drei, „aber diesmal muss es perfekt werden.“ Wird es nicht, wir ahnen es sogleich. Aber das neu-alte Leben wird deutlich reflektierter, wenn gleich drei mit ihren jeweiligen Ansichten und partiellen Lebenszeit-Erfahrungen durcheinander quasseln. Da wird einem das heutige Frauenleben in seinem zehrenden Anspruch nur zu bewusst.

„Wir sind Hundert“ ist ein Monolog für drei. Im Detail gar nicht unwitzig zusammengebaut aus Versatzstücken des Zeitgeists. Barbara Nowotny ist „Drei“ – sie ist politisch blindwütig engagiert wie eh und je. „Zwei“ (Angela Šmigoc) hat ein rotes Blümchen im Haar und täte sich gleich mal einpassen in ein konventionelles Weibchen-Schema, wenn die anderen das bloß zuließen. Und dann wäre da noch „Eins“ (Marion Reiser), die Dauernörglerin in der Gruppe, die an allem und jedem etwas auszusetzen hat, die immer alles anders machen würde. Drei Lebensalter, drei Perspektiven? Nein, sie sind alle etwas über Dreißig. In dem Alter hat man schließlich die essenziellen Lebenserfahrungen hinter sich, mit Männern und Frauen, und man kann sich munter ans Deklinieren des Ego machen. Der Autor gehört auch in diese Altersklasse.

Die drei jungen Schauspielerinnen in Linz unter der Regie von Katharina Schwarz gehen sympathisch herzhaft dran. Junges Publikum werden sie gewiss flugs auf ihre Seite ziehen.      

„Wir sind Hundert“ könnte ein Renner in den Schauspielschulen sein. Ausreichend Gelegenheit für spontane Rollenspiele in rasant wechselnden Stimmungsbildern. Keine Seelenszenerie, die nicht augenblicklich gebrochen und unterlaufen würde. Der vermeintlich dankbare Theatertext birgt freilich Fußangeln. Das müsste alles wirklich mit brillanter Präzision kommen, sollte es darüber hinwegtäuschen, dass auch sehr viel Klischeehaftes transportiert wird. Jonas Hassen Khemiri ist Sohn einer Schwedin und eines Tunesiers. Sollte man sich von einem kulturellen Grenzgänger von Geburt an einen differenzierteren, kritischeren und besser fokussierten Blick auf heutiges Frau-Sein erwarten? Viele abgegriffene Bilder sind hier eingeflossen, und ihre Brechung in diesem Stück wahrzunehmen, braucht’s vom Publikum schon viel guten Willen.

Wände aus Fäden (Bühnenbild: Florian Parbs). Da sind Vollblut-, Neben- und Hyper-Frau rasch weg und eben so schnell wieder da zum Wortduell, zum Handgemenge und sogar zum Mord an der Jung-Gebliebenen. Aber keine Sorge. Seelen in der Brust lassen sich so schnell nicht killen, es werden agile und argumentationsgewandte Wiedergänger draus. Oder wenigstens Begleiterinnen, die in emotional sanfteren Momenten „Goldrahmenerinnerungen“ heraufbeschwören.

Aufführungen bis 23. März im Eisenhand, der dritten Spielstätte des Linzer Landestheaters - www.landestheater-linz.at


 

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