Aus Schwarz mach Weiß, damit es richtig bunt wird
GRAZ / STEIRISCHER HERBST / TRAM 83
26/09/18 „Wenn man trinkt, muss man pissen. Wenn man pisst, ist es immer noch euer Bier in eurem Klo.“ So einfach ist das mit dem Kolonialismus. Und so aussichts- und hoffnungslos. Aber nicht ernst, denn da ist ja „Tram 83“, der Nachtclub.
Von Reinhard Kriechbaum
Dort treffen sie aufeinander, die Bewohner eines immer noch nicht wirklich postkolonialen, neoliberalen Absurdistans namens „Stadtland“: Underdogs und Glücksritter auf Zeit, Menschen in allen Schattierungen zwischen diesen Polen.
Fiston Mwanza Mujila stammt aus dem Kongo. Er war 2009 Stadtschreiber in Graz und lebt seitdem hier. An der Universität unterrichtet er afrikanische Literatur, und er schriftstellert. Mit „Tram 93“ eroberte er 2015 die Herzen des Feuilletons. Sein Debütroman landete auf der Longlist des Man Booker International Prize, erhielt mehrere Auszeichnungen, und flugs wurde er in mehrere Sprachen übersetzt. Was offen lag: Da ist ein Autor am Werk, der am Beispiel seiner schwarzafrikanischen Heimat über die globalisierte Welt, über die Unüberblickbarkeit des Ganzen, über die ausgehebelten Werte schreibt. In französischer Sprache schildert er (noch) sein Herkunftsland, weil er es eben besonders gut kennt – aber solche Wirtschaftsgeographie bestimmt die Landkarten überall.
Damit die Sache überhaupt erträglich bleibt, greift Fiston Mwanza Mujila zu einer umwerfenden Mischung aus beinharter Unverblümtheit und musikalisierter Poesie. Beides kommt wunderbar heraus in der Dramatisierung, die nun im Grazer Schauspielhaus, Haus zwei, uraufgeführt wurde. Herausforderung einer Übersetzung (Katharina Meyer und Lena Müller): die Musikalität, das „Jazzige“ des Textes herüber zu retten. Anspruch an eine Bühnenfassung: aus dem Figurengewimmel zu extrahieren, und doch das Oszillieren dieser Gesellschaft zu vermitteln.
Regisseur Dominic Friedel macht das mit Raffinement. Die drei männlichen Hauptfiguren – den raffinierten Geschäftemacher Requiem, den Historiker und Schriftsteller Lucien und dessen Verleger – hat er Schauspielerinnen anvertraut. Alle Frauenrollen – besonders einprägsam die Diseuse, die unter dem Spitznamen „Diva der Eisenbahntrassen“ läuft – spielt der einzige Mann in der Runde. Reizvoll androgyn ist das, und obendrein quicklebendig, weil die Figuren immer wieder aus sich selbst aussteigen, sich in der dritten Person schildern oder die Lage, das Geschehen beschreiben. Gegenseitig ist man „Begleitorchester“, wiederholt zentrale Wörter wie eben in der rhythmischen Drum-Leiste des Jazz: Wort-Variationen des eigentlich Unsagbaren.
Dominic Friedel macht mit der Bühnenfassung eben nicht bloß ein Stück für Lesefaule. Die Dramatisierung hat eigene Anmutung, eigenen Stil. Das „Tram 83“ habe den „Anstrich eines echten Theaters, wenn nicht eines großen Zirkus“, heißt es im Text, und das wird eingelöst. Ein Bühnenbild mit Varieté-Flair, mit senkrechten zarten Licht-Stäben, die genau so gut Überbleibsel von Käfigelementen sein könnten. Mit seinem Bühnenbildner Frank Holldack spielt Dominic Friedel Situationen durch, in denen „Bestien“ und „Zuschauer“ aufeinander losgelassen werden und nicht mehr so leicht auseinanderzuhalten sind.
Mit welcher Figur soll man eigentlich sympathisieren? Tamara Semzov spielt mit dauer-pessimistischem Blick den Intellektuellen Lycien. Er versucht sich als Schriftsteller, man wird die Figur aber kaum als Alter ego des Autors lesen können. Luciens Sinnen und sein Wollen wirken meilenweit von der Realität entfernt. Einmal klopft ihm Requiem, Jugendfreund und Gegenspieler, wohlwollend auf die Schulter: „Die Tragödie ist schon geschrieben, wir schreiben nur das Vorwort.“ Dieser Requiem, den Sarah Sophia Meyer mit einer Mischung aus gewinnendem und spöttischen Lächeln ausstattet, gibt sich auch als Robin-Hood-Typ, geeicht im Nahkampf mit den „gewinnorientierten Touristen“ ebenso wie mit Seinesgleichen. Aber zu Robin Hood fehlt die Uneigennützigkeit. Requiem ist schlitzohriger Vorwärtsbringer seiner Selbst.
Es fehlt nicht an Bonmots, mit denen Fiston Mwanza Mujila die Rolle des (entschieden zu besserwisserisch sich gerierenden) Literaten hinterfragt. „Genügt die Realität deinem Gewissen nicht?“, muss Lucien sich von Requiem sagen lassen. Auf der anderen Seite eine Huldigung ans „Tram 83“: „Es gibt Orte, die brauchen keine Literatur, die sind Literatur, sie stehen mit beiden Beinen im Leben.“
Geradlinig oder gar ebenmäßig sind sie eben nicht, die von Fiston Mwanza Mujila entworfenen Bilder der schwarzen Welt, die in dieser Aufführung eben nicht schwarz ist. Motto: Aus Schwarz mach Weiß, damit es bunt wird.