Glücklich ist, wer vergisst...
REST DER WELT / GRAZ / LA RONDINE
13/01/17 Die Surrealisten geben sich ein Stelldichein in Rolando Villazóns Inszenierung von Puccinis rarer Oper "La Rondine", von der Deutschen Oper Berlin nun übernommen ins Grazer Opernhaus. Da gibt es etwa in einer entscheidenden Szene die Anspielung auf Man Rays bekannten Rückenakt: Die Dame hat die f-Löcher einer Violine auf die bloße Haut gemalt.
Von Reinhard Kriechbaum
Zu gerne lassen sich die Damen bespielen, und als Musikinstrumente tönen sie gegenüber ihren Financiers so wohl-lautig wie nur. Dass die Kurtisanen gerne vollmundig über das eigentliche Wesen der Liebe und die Echtheit der Gefühle spekulieren, was soll's: Die Spintisiererei gehe "wie eine Krankheit, eine Epidemie, wie Wahnsinn" durch Paris, heißt es gleich zu Beginn.
Puccini hätte eigentlich eine Operette schreiben sollen fürs Wiener Carltheater, Lehar aus erster Hand sozusagen. Geworden ist es tatsächlich auch ein klein wenig Lehár, eine Musik, in der sich beständig der Walzertakt Bahn bricht. Aber "La Rondine" ist keine verunglückte Operette. Vor allem ist das Werk eine Kammeroper mit feinster, gar leicht ironischer Instrumentation. Die ist das weitaus Lohnendste an der Erweckung und kommt in Graz durch den Stilisten Marco Comin mit gediegener Leuchtkraft und Grandezza heraus. Ein Hochgenuss, wie leicht sich darüber die Stimmen ohne jede Anstrengung abheben, wie sie den Konversationston, das puccinesk-melodiöse Parlando absetzen und zugleich einknüpfen ins flockige Orchestergeschehen.
Sophia Brommer ist die Magda, der plötzlich das passiert, was der Dichter Prunier eingangs so formuliert hatte: "In jeder Seele wohnt ein romantischer Teufel." Da packt es also den Paris-Neuling Ruggero (den Tenor Mickael Spadaccini) und die Kurtisane. Sie lässt ihren Financier kurzerhand sitzen. Das junge Paar geht ans Meer, wo sich - wieder ein Stück Surrealismus im Bühnenbild von Johannes Leiacker - ein Schäfchenwolkenhimmel à la René-Magritte öffnet. Dort geht den jungen Liebenden erstens das Geld aus, und zweitens lässt die sich abzeichnende Heirat samt Eintritt ins kleinbürgerliche Eheglück in Magda doch die Grausbirnen aufsteigen. Diese "Traviata" hat selbst die Einsicht, dass solches Glück zwar ur-echt, aber trostlos ist. Da braucht es keinen Père Germont. Sie macht sich mit einem einsamen, von ferne zurück klingenden Sopran-Ton auf in die von falschen Gefühlen bestimmte, aber deutlich vergnügungsvollere Vergangenheit. Ruggero ist am Boden zerstört. Ein originelles Opernfinale, wie Puccini auch die beiden Akte zuvor immer im musikalischen Halbschatten enden lässt, in Melancholie und Seelen-Nebel.
Der feinstimmige Tenor Pavel Petrov (als Dichter Prunier) und die quirlig-koloraturengewandte Tatjana Miyus (Zofe Lisette) sind das "niederes Paar", trostreicher Kontrapunkt zu Magda und Ruggero: geht ja, die Liebe, und hundertprozentig ist sowieso nichts!
Die Regie von Rolando Villazón: Der Sänger hat überaus genau hinein gehört in die Partitur, mit humoristischen Pointen nicht gespart, aber sehr genau eben auch das Halbschattige in den Blick genommen. Dass die echte Liebe womöglich Surrealismus pur ist: Das kann man so aus dem der aufbrechenden Freud-Ära entstammenden Libretto herauslesen, folgerichtig entspricht die Ausstattung der Entstehungszeit des Werks, 1916.
Drei pantomimische Figuren scheinen mit ihren ovalen Nicht-Gesichtern Giorgio de Chiricos "Beunruhigenden Musen" entsprungen: Das also sind die männlichen Vergangenheiten der Kurtisanen, mit denen vielleicht Liebe möglich gewesen wäre. Auch Ruggero bekommt zuletzt eine solche Maske übergestülpt. Glücklich ist, wer vergisst - aber das ist jetzt echt Operette.