Ich bin der Feind, den Du getötet hast, mein Freund
KULTURVEREINIGUNG / PHILHARMONIE SALZBURG / WAR REQUIEM
26/09/13 „Der Tod war niemals unser Feind. Wir schlossen Freundschaft mit dem alten Kumpan.“ Ein deftiges Landsknechtsliedchen trällern die Soldaten noch zu Beginn von Benjamin Brittens „War Requiem“. Ein fiebriger Totentanz. Doch am Ende heißt es „Ich bin der Feind, den Du getötet hast, mein Freund“.
Von Heidemarie Klabacher
Elisabeth Fuchs hat ihr Publikum richtig eingeschätzt. Sie wurde für ihren Mut als Intendantin und Dirigentin mit laut aufbrandendem Jubel belohnt: Die Publikumsreaktion nach der ersten der drei Aufführungen von Benjamin Brittens „War Requiem“ wird die Spiellust aller Ausführenden für die Aufführungen im Großen Festspielhaus heute Donnerstag und morgen Freitag noch gesteigert haben.
Elisabeth Fuchs hat sich als künstlerische Leiterin der Salzburger Kulturvereinigung bereits als „Publikumserzieherin“ mit behutsamen Repertoireerweiterungen da und dort verdient gemacht. Nun hat sie ihrem Publikum also eindrücklich demonstriert, dass man sich auch vor Benjamin Britten „nicht fürchten muss“.
Benjamin Britten hat sein „War Requiem“ für die die Feier der Wiedereröffnung der im Zweiten Weltkrieg zerbombten Kathedrale von Coventry am 30. Mai 1962 geschrieben. Es ist kein „klassisches“ Requiem. Den lateinischen Text hat Britten dem großen Chor und dem großen Orchester anvertraut. Damit teils eng verflochten sind Texte des jung gefallenen englischen Dichters Wilfried Owen: Tenor- und Baritonsolist, ein englischer und ein deutscher Soldat, singen diese bewegenden Antikriegsgedichte begleitet von einem Kammerorchester. Dazu kommen noch Sopransolistin, sowie Kinderchor und Orgel, die quasi engelsgleich die himmlische Sphäre vertreten.
Tatsächlich ist das „War Requiem“ beinahe eine „Programm-Musik“: Höchst anschaulich und klangsinnlich schildert Britten Kampfeslust, Kanonendonner und Bombenhagel, im Wortsinn mit Pauken und Trompeten. Umso bewegender sind im Gegensatz dazu die reflektierenden Passagen, in denen sich die Einstellung der Soldaten ändert – und die landsknechthafte Lust am Zuschlagen der Sprachlosigkeit angesichts des Grauens weicht. Die Engel demonstrieren via Kindermund ihre ewigselige Gleichgültigkeit, indem sie quasi von oben herab Gott preisen. Unberührt von Menschenleid, noch dazu selbst gemachtem.
Der Atem stockt noch dem heutigen abgebrühten Hörer im Offertorium: „Wie du dem Abraham und seinen Nachkommen verheißen hast“… Hier ist die Erzählung von der Opferung Isaaks in den lateinischen Text eingeschaltet. In überirdisch schönen versöhnlichen Klängen erzählt Britten davon, dass Gott das unmögliche Knabenopfer nicht will: „Opfere den Widder des Stolzes an seiner statt“, dichtet Wilfried Owen. „Doch der alte Mann tat es nicht, sondern schlachtete seinen Sohn – und die halbe Saat Europas Mann für Mann.“
Britten habe für das „War Requiem“ eigentlich zwei Dirigenten vorgesehen, sie werde „mal schauen, wie es mit einem geht“, sagte Elisabeth Fuchs – und hat die angetreten Scharen mit Präzision und größtem Gespür für die subtilen Übergängen zwischen den so unterschiedlichen musikalischen Ebenen zum Triumph geführt.
Die Philharmonie Salzburg überzeugte klangvoll und facettenreich als wilder Janitscharenhaufen ebenso, wie als Klangkulisse angesichts des Verlöschens aller Hoffnung – und ihrem Wiedererblühen. Eine besondere Verneigung dem Kammerorchester der Philharmonie, das den stimmlich hervorragenden Gesangssolisten einen feinziselierten Klanggrund legte: Klanglich haben der Tenor Erik Nelson Werner und der Bariton Andreas Scheibner bewegt und berührt, auch wenn man den Text oft nicht verstanden hat. (Leider war der Saal auch noch so verdunkelt, dass das Mitlesen der englischen Gedichte fast unmöglich war. Schade.)
Die Budapester Akademische Chorgemeinschaft und der Talentumchor Budapest haben sich bemüht, machtvoll zu singen, allerdings jegliche Textverständlichkeit missen lassen. Um nicht zu sagen, man hat kein Wort verstanden. Was beim Text des lateinischen Requiem – im Gegensatz zu englischer Poesie – fast schon ein Kunststück ist. Was die „Großen“ an Konsonanten haben missen lassen, haben die „Kleinen“ dafür mit Bravour eingebracht: Präzise und textdeutlich, strahlend klar und glockenhell haben die „Salzburger Chornaben und Chormädchen“, einstudiert von Helmut Zeilner – den Engeln Engelszungen verliehen. Mit ihnen strahlte der machtvolle und doch so klare und helle Sopran der Solistin Hasmik Papian. In Summe, eine solide überzeugende Aufführung. Gratulation.
Nicht erschlossen hat sich der Sinn der in Summe einstündigen „Werkeinführung“ innerhalb der Konzertzeit, bei der alle Ausführenden bereits auf der Bühne waren und bewundernswert konzentriert einzelne Klangbeispiele aus dem Werk vorgestellt haben. Elisabeth Fuchs, sonst begnadete Moderatorin und Geschichtenerzählerin, hat sich auf diese Klangbeispiele beschränkt, und auf eine tatsächliche Einführung – in die musikalisch-stilistischen Mittel Brittens, seine Quellen in schier allen Epochen der Musikgeschichte – verzichtet. Insofern schien diese Stunde vergeudet, aber das Publikum – Maß aller Dinge – war bei der Sache. Und das ist die Hauptsache.