Das Gericht der Richter
JURIES IN COMPETITION / MOZARTEUM / KONZERT
06/02/19 „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet.“ Diesmal trifft der Bibelspruch gleich drei prominent besetzte Jurys, die im Mozarteum einen Klavierwettbewerb zu einem Jurywettbewerb machen. Juries in Competition beginnt morgen Donnerstag (7.2.)
Von Franz Jäger-Waldau
Die Befürchtung ist: Die MusikantInnen seien zu gut. Durch das durchschnittlich hohe pianistische Niveau entscheiden bei Wettbewerben oftmals nur noch subjektive Nuancen. Diese Entwicklung führe verstärkt zu dem Phänomen, dass PianistInnen etwa bei einem Wettbewerb bereits in der ersten Runde ausscheiden, dann aber kurz darauf bei einem anderen Wettbewerb den ersten Preis erringen.
Die Universtität Mozarteum Salzburg versucht daher mit der Konzertreihe Juries in Competition, die Richter selbst vors Gericht zu stellen: Dieselbe musikalische Interpretation soll gleichzeitig von mehreren Jurys bewertet werden, wovon sich die Institution erhofft, objektivere Beurteilungen zu erhalten und die Möglichkeit unterschiedlicher Resultate zu dokumentieren.
Die Musikantinnen und Musikanten jedenfalls erreichen bereits die nächste Runde, wenn sie auch nur von einer der drei Jurys positiv bewertet werden. Durch zwei elektronisch miteinander verbundene Flügel wird die Interpretation zeitgleich und identisch in einen anderen Saal übertragen. Es werden also zwei Jurys die Pianistinnen und Pianisten visuell und akustisch erleben, während sie von der dritten Jury ausschließlich akustisch wahrgenommen werden.
Die schwere Frage, ob einer von Zweien besser spielt als der andere, ist eigentlich leicht zu beantworten: Meistens irgendwie schon. Die Folgefrage lässt sich allerdings weniger lässig abwinken: Inwiefern? Kant kennt das Problem: Ästhetische Urteile fallen mit „subjektiver Allgemeingültigkeit“. Also so, als ob „man durch das Geschmacksurteil das Wohlgefallen an einem Gegenstande jedermann ansinne“. Phrasen wie „meiner Meinung nach“ müssen zum Eigenschutz eingefügt werden, verschleiern aber nur das wirklich Gemeinte: „Ich finde die Interpretation gut, weil ich finde, dass sie objektiv gut ist.“ Obwohl doch kaum ein objektives Kriterium ihrer Qualität gedacht werden kann.
„Qualität“ ist etwas Unheimliches. Die moderne Wissenschaft bemüht sich derzeit, sie hinter der viel weltlicheren „Quantität“ verschwinden zu lassen. So auch hier: Juries in Competition fragt, ob eine größere Quantität von Urteilen auch größere Qualität bedingt. Das wäre schön, vor allem für die Bewerberinnen und Bewerber, die Vorspiele meistens ohne brauchbare Kritik oder gute Gründe verlassen. Dass Qualität und Quantität sich aber nicht unbedingt gleichförmig bewegen, sondern chaotisch ineinander umschlagen, zeigt schon Hegel an einem Beispiel: Ab einer bestimmten Temperatur verdunstet Wasser zu Dampf. Zu hoffen ist, dass die Urteile der Jury nicht in derselben Form Hegels Logik erliegen.
Ein Schelm, wer denken zu müssen glaubt, dass es der Firma Bösendorfer auch ein klein wenig darum gehen könnte, ihr aufwändiges und teures System, zwei Klaviere elektronisch miteinander zu verbinden, vor prominentem Publikum und in Hinblick auf erhofftes Medienecho zu demonstieren.
Das experimentelle Projekt wird jedenfalls vom Institut für musikalische Rezeptions- und Interpretationsgeschichte (IMRI) der Universität Mozarteum wissenschaftlich begleitet: Die Kriterien der Entscheidungsfindung der einzelnen Jurys werden veröffentlicht und sollen in Folgeprojekte des IMRIs zur pianistischen Interpretationsforschung eingebunden werden. Aber welches Ergebnis erhoffen sich die Veranstalter? Dass sich zwei Jurys widersprechen, scheint genauso wahrscheinlich, wie dass sich zwei Laien widersprechen. Aber vielleicht wird eben aus diesen Brüchen, dem Fehlen von Übereinstimmung, die Bedingung der Möglichkeit musikalischer Kommunikation. Eine Umkehrung aller Bewertungen: An dieser Stelle schienen gerade die musikalischen Darbietungen beachtlicher, die mehr Brüche herstellen, mehr Unstimmigkeit, mehr Notwendigkeit für Diskurs und Interpretation entfachen. Ein Richter kann dort nur gerichtet werden, sein Urteil ist nur so mächtig wie die Beurteilten. Seine tiefste Angst: oberflächliche Provokation.