„Oral history“ landauf, landab
ZEITGESCHICHTE / „DAS WAR UNSERE ZEIT“
18/09/12 „Zu unserer Zeit“, sagen alte Leute nicht selten – aber das ist glücklicherweise stark übertrieben. Sie meinen zwar frühere Jahrzehnte, aber „ihre Zeit“ ist glücklicherweise noch nicht abgelaufen. Man kann sie noch befragen – und das tut man im Land Salzburg ab sofort in jeder der 119 Gemeinden des Landes Salzburg.
Ilse Friedl, Jahrgang 1928, war Lehrerin in einer Dorfschule im Pinzgau. Sie erinnert sich, wie sie einmal von armen Bauersleuten mit einer Eierspeise „verwöhnt“ wurde. Die Kinder seien rund um den Tisch gestanden und hätten sehnsuchtsvoll in die mitten auf dem Tisch stehende Pfanne geschaut. „Wir haben der Bäuerin gesagt, sie möge doch die Eierspeis ihren Kindern geben. Darauf antwortete die Bäuerin: ‚Insane Kinda segn des gonze Johr koa Oa!‘ (Unsere Kinder bekommen das ganze Jahr keine Eier.)“
Schwer vorstellbar heutzutage? Umso wichtiger, solche Geschichten, die das Leben schrieb, in Form von Interviews und Videoaufzeichnungen zusammenzutragen. „Möglichst viele ältere Menschen sollen hinsichtlich ihrer Biografien aktiviert, das Erzählte durch örtliche Archive, Chroniken, Stadt- und Landesarchiv dokumentiert und diese Art der örtlichen Wissens- und Geschichtsspeicherung in Gemeinden als Fixeinrichtung verankert werden“, erklärt Stefanie Walch, Bildungswerkleiterin aus Hof und Koordinatorin des Projektes.
In jeder der 119 Gemeinden des Landes Salzburg sollen mindestens zwei Zeitzeugen oder Zeitzeuginnen befragt werden. Man hofft natürlich sehr darauf, dass engagierte Menschen in den Gemeinden die Kontakte zu alten Leuten herstellen helfen. So viele Zeitzeugen wollen ja erst aufgestöbert werden. „Diese Unterstützung ist von enormer Bedeutung für das Gelingen des Projektes, so Stefanie Walch.
Um in den Gemeinden das Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser „oral history“ zu wecken, sollen den Befragungen öffentliche „Erzählcafés“ vorangehen. Daran können alle Interessierten teilnehmen – zuhörend oder erzählend. Vor allem die jeweiligen Lebensumstände sollen erhellt werden, wie zum Beispiel Schule, Arbeit, Wohnen, Kleidung, Nahrung, Krankheit, Feste und Bräuche, Religion. „Bei dieser ungezwungenen Veranstaltung kommen vielleicht außergewöhnliche Erlebnisse oder Persönlichkeiten zum Vorschein, die sich für eine Dokumentation bestens anbieten“, hoffen die Initiatoren.
„Der Fokus liegt auf den Geburtsjahrgängen vor 1933, keine Generation davor hat so viele Veränderungen miterlebt wie jene der jetzt über 80-Jährigen“, sagt der Initiator des Projektes Alfred Berghammer, Leiter des Arbeitskreises Seniorenbildung. Wie sah es in ihrer Gemeinde aus? Welchen Schulweg mussten Kinder um 1935 zurücklegen? Was erlebten sie im Unterricht? Wie wurde Weihnachten gefeiert? Und was hat sich eigentlich in den letzten siebzig Jahren verändert? All diese Fragen liefern subjektive Erinnerungen, die ein besonderes Stück Salzburger Geschichte dokumentieren und für nachkommende Generationen identitätsstiftend sind.
"Die Gestaltung unserer privaten und sozialen Gemeinschaften baut wesentlich auf der Solidarität zwischen den unterschiedlichen Generationen auf, dem Prinzip der gegenseitigen Zuwendung und Unterstützung“, bekräftigt Landesrätin Tina Widmann, die auch für Generationen-Verständigung im Land zuständig ist. „Diese Solidarität bleibt nur dort selbstverständlich und spontan lebendig, wo Jung und Alt einander täglich begegnen, miteinander diskutieren, zusammen Dinge erarbeiten und teilen, sich gegenseitig zuhören, sich gegenseitig bereichern. Solche Erfahrungen sind besonders heute relevant und unverzichtbar." (Sbg. Bildungswerk)