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Der Hergang ist recht schön und klar

FESTSPIELE / JEDERMANN

21/07/24 Der Glaube? Die Dame hat bisher bekanntermaßen ein subalternes Dasein geführt in Jedermanns Haus. Regine Zimmermann kommt mit Eimer und Reibfetzen daher und beginnt den Boden zu schrubben, dieweil Dörte Lyssewski, vom Armen Nachbarn zu den Guten Werken mutiert, dem Jedermann gut zuredet.

Von Reinhard Kriechbaum

Eh noch nicht alles verloren in Sachen himmlischer Ewigkeit! Das wollen wir ihr nur allzu gerne abnehmen. Robert Carsen, bekennender Hofmannsthal-Liebhaber (vor allem der Libretti, die dieser für Richard Strauss geschrieben hat), nimmt den Jedermann beim Wort und schöpft Bild um Bild einprägsame Katechismus-Bilder.

Aber der Reihe nach: Da strömt zu Orgelmusik eine beinah unübersehbare Menschenmenge aus dem Dom, die sich formiert und in Art eines Antikenchors die hölzernen Einleitungsverse zitiert. Dominik Dos-Reis, ein blutjunger Tod im Chorrock, läutet ein Glöckchen, und alle werden hingestreckt. Wenn dieser Tod „Je-der-Mann“ buchstabiert, weist er mit großer Geste ins Publikum, auf das nur ja alle verstehen, mitgemeint zu sein. Carsen setzt sogar noch eins drauf in dieser Doppelstunde Religionsunterricht und lässt den Tod als Epilog nochmal aus dem Anfang zitieren. „Der Hergang ist recht schön und klar...“ So ist es.

In den vergangenen Jahren hat Michael Sturminger auf dem Salzburger Domplatz den Jedermann mit Lars Eidinger im LGBTQ-Milieu angesiedelt und zuletzt Michael Maertens in eine apokalyptisch düstere Endzeit versetzt. Das war Teilen des Publikums und damit der Festspielleitung entschieden zu viel des Unguten. Kurzfristig und entgegen mündlichen Abmachungen mit Regisseur und Schauspielern hat man die Produktion abgesetzt. Jetzt ist so etwas wie Wiedergutmachung angesagt, eine Kurskorrektur um 180 Grad. Die goldene Melkkuh, pardon, das „geistlich Spiel“ vor der Domfassade, darf diesmal in überklaren Bildern daher kommen. Buchstabengetreue Läuterung ist angesagt – und, so viel Ehrlichkeit muss sein: Hofmannsthals Knittelverse beweisen wieder einmal Überlebenskraft. Premiere bei Bilderbuch-Himmel über dem Domplatz. Fast schämt man sich, es zuzugeben: Es hat was.

Hinein ins Spiel. Im goldfunkelnden Luxus-Cabrio fährt Jedermann vor, mit Chauffeur versteht sich. Lässig schaut Philipp Hochmair aus im karierten Sakko. Der Arme Nachbar (Dörte Lyssewski) geht in Sack und Asche. Der Geldbeutel, den er erbittet, ist ein Koffer mit Bargeld. Der Schuldknecht (Arthur Klemt) ist offenbar ein prominenter Geschäftsmann, der sich verspekuliert hat. Er wird unter reger medialer Begleitung von Fotografen und Kamerateam vorgeführt. Die Mutter (Andrea Jonasson), in elegantem Schwarz, wirkt weniger alt und charismatisch als so manche Rollenvorgängerin, aber ihre Bestimmtheit reicht ja doch aus, um Jedermann zu verunsichern.

Immer wieder ist ein Thema, wie man die kleine Rolle der Buhlschaft aufwerten, dem ihr zugesprochenen medialen Wert einigermaßen angleichen könnte. Davon lässt Robert Carsen sich nicht beeindrucken. Deleila Piasko, ein zierliches Persönchen, taugt nicht für übertriebenen Sex-Appeal. Ausstrahlung kann man ihr nicht nachsagen. Wenn Jedermann die Depression packt, wird sie ihn öfters einfach umarmen und so für Momente in die Lebewelt zurückholen. Den Abgang mit Entsetzensschrei hat der Regisseur ihr gestrichen.

Die Tischgesellschaft! Robert Carsen hat auf ein Bühnenbild verzichtet, dafür bietet er gleich fünf Dutzend Komparsen auf. Jedermann bietet seinen Freunden ein Fest im Clubsetting, es wird viel getanzt, Philipp Hochmair und Deleila Piasko legen auf einem der sieben runden Tische einen flotten Tango hin. Der Dicke Vetter (Lukas Vogelsang) hebt zu einer Gesangseinlage an. Es gibt zu hören und zu schauen. Die Jedermann-Rufer platzen in eine Rock-Nummer hinein. Wie sich der Tod durch dieses Getriebe einen Weg zu Jedermann bahnen soll, kann man sich erst gar nicht vorstellen. Plötzlich ist er in Bühnenmitte da. Im Outfit eines Kellners schenkt er Jedermann reinen Wein – Rotwein – ein.

Nun schlägt also die Stunde der allegorischen Figuren. Dass Christoph Luser als Guter Gesell beim Fest im roten Samtanzug erscheint, hätte uns gleich misstrauisch machen sollen. Jetzt zeigt er sein wahres, teuflisches Gesicht, lässt Jedermann kalt abblitzen mit seinem Wunsch, ihn auf dem letzten Weg zu begleiten. Guter Gesell und Teufel in Personalunion, das ist eine gute Idee. Jedermann will die letzte Reise im güldenen Cabrio antreten, lässt auch schnell noch Geldkoffer und sogar ein paar Bilder seiner Kunstsammlung (auch Klimt) herbeischaffen. Da springt Mammon aus dem Kofferraum. Kristof Van Boven erscheint ist in dieser Rolle als Doppelgänger des Jedermann. Der Mammon kommt ihm nicht mit Ironie, sondern mit Hohn und Eiseskälte.

Robert Carsen hat seine Inszenierung Szene um Szene am Wort und auch an den Klischeebildern orientiert. Leises Understatement mildert da und dort die Plattheit ab. Ganz unbestritten ist die schauspielerische Kompetenz. Philipp Hochmair, der ja seit Jahren mit einer popmusikalischen Version des „Jedermann“ (in der er alle Rollen spielt) durch die Lande zieht, abstrahiert nun völlig von seiner eingeübten Variante, sondern lässt sich ganz ein auf Carsens „werktreue“ Interpretation.

Gerade die allegorischen Szenen sind sehr ernsthaft angelegt. So ernsthaft, dass man eigentlich manchmal die Taste „Schneller Vorlauf“ drücken wollte. Das theatrale Memento mori hat in solch buchstabengetreuer Auslegung durchaus auch etwas quälend Langwieriges, aber das soll wohl so sein.

Der reuige Jedermann nimmt vom Glauben das Aufwischtuch und versucht in einer Gründonnerstag-Allegorie einem aus der Menge die Füße zu waschen. Es ist ja nicht nur Jedermann zu erlösen sondern jedermann. Viele aschgraue Männer und Frauen sind unterdessen über die Zuschauertribüne herbeigeströmt. Dem Toben des Teufels zum Trotz werden auch sie am Ende in weißen Gewändern daliegen. Carsens „Jedermann“ ist durch und durch entwaffnend geradlinig gedacht und umgesetzt. Das muss man sich erst trauen und letztlich so un-peinlich hinkriegen.

Aufführungen bis 28. August – Im Fernsehen am 27. Juni um 20.15 Uhr in ORF 2 – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Monika Rittershaus

 

 

 

 

 

 

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