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Fifty Shades of Grey

PFINGSTFESTSPIELE / LA CLEMENZA DI TITO

19/05/24 Grau in Grau. Wird es eine Opernkritik geben, die nicht mit diesen Worten beginnt? „Grau in Grau.“ Das ist auch schon – fast – alles, was es über die Neuproduktion von Mozarts La clemenza di Tito zu sagen gibt. Einzig im Orchestersound flirren farben- und facettenreiche Glanzlichter über Fifty Shades of Grey.

Von Heidemarie Klabacher

Wenn die Aufständischen das Kapitol in Rom stürmen, geschieht dies nicht mit Bildern, die historische Ereignisse von vor gut zweitausend Jahren imaginieren wollen. Es geschieht vielmehr mit Videos vom Angriff des amerikanischen Volkes auf das Kapitol in Washington. Das kommt so platt daher, wie es klingt. Und es erschüttert seltsamerweise bis ins Mark.

Davor passiert nichts. Die Oper spielt in einem Konferenzentrum. Einem Regierungsgebäude. Die Leute, Führungskräfte wie Personal, tragen Anzug, Krawatte, Keycards, auch mal einen Aktenkoffer. Gerne schieben sie ihre Schreibtische herum. So werden Plenarsäle mit Galerie zum Konferenzraum mit Kaffeemaschiene oder zum Chefbüro. In einem solchen sitzt Titus Vespasianus und leidet an seinem Amt. Er wäre gerne ein guter Herrscher, aber die Leute lassen ihn nicht. Sein bester Freund lässt sich von einer machtgeilen Tussi sogar zum Mord anstiften. Die Frau, die er „zur kaierlichen Gattin erwählt“ liebt einen anderen und sagt ihm das ins Gesicht: Aber dafür ist er dankbar. Wenn es mehr Menschen wagen würden, ihm mit der Wahrheit zu missfallen, wäre besser herrschen. Ein Kernsatz der Oper.

Und tatsächlich ist die Story von La Clemenza di Tito im Libretto von Caterino Tommaso Mazzolà die zeitlos akuellste der Operngeschichte. Einen Plot, der unter Rittern und Drachen oder Pyramiden und Elefanten spielt, in eine Konzern-Zentrale verlegen – OK. Aber eine Geschichte die im Zentrum der Macht spielt, in einem Zentrum der Macht spielen zu lassen? Ob Regisseur Robert Carsen, ein gebürtiger Kanadier, überlegt hat, wie sich sein triestes  Konzept womöglich auf die Wahl-Beteiligung bei der EU-Wahl auswirkt. Hoffentlich geht es in Brüssel nicht ganz trostlos zu, wie auf der grauen Bühne von Gideon Davey im fahlen Licht von Thomas Achitz.

In Brüssel gibt es nämlich keine Musik. Und im Haus für Mozart rettet einzig der Sound von Les Musiciens du Prince Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano vor allgemeiner Versteinerung. So elegant wie wendig, durchaus gemäßigt im Grundtempo, bezaubern die Instrumentalisten mit detailreicher Klangmalerei, bewusst und sparsam eingesetzt – sei's bei drohender Gefahr, verletzten Gefühlen oder blühender Hoffnung. Das Hammerklavier verzaubert. Der Chor, Il Canto di Orfeo, einstudiert von Jacopo Facchini, steht für lebendige Menschen.

Achtung Spoiler. Robert Carsen lässt am Ende, mitten in seiner Vergebungsorgie, den gütigen Herrscher und alle seine Getreuen von der machtgeilen Tussi ermorden, die sich schließlich selber auf den Chefsessel setzt. Hat nichts mit der Oper zu tun, ist aber eine plausible Erklärung für das krankhaft intrigante Verhalten der beleidigten machtgeilen Vitellia.

Dieser verleiht die Sopranistin Alexandra Marcellier fitness-studio-gestählte Figur und Stimmbänder aus Stahl. Ausstrahlung null.

Dagegen ist Mélissa Petit als Servilia, die dem Kaiser die Wahrheit sagt, ein lebendiger fühlender Mensch. Stimmlich – ihre Partie ist technisch nicht extra aufregend – betört mit den wärmsten und klangvollsten Vokal-Momenten des Abends. Delikat und farbenreich ist auch der Zusammenklang mit Anna Tetruashvili als Servilias Freund Annio.

Apropos Hosenrollen. Es gibt doch sicher Coaches, die helfen, Zärtlichkeiten auf der Bühne zwischen Männern und Frauen – vor allem aber zwischen Frauen, die teils Männer darstellen sollen, aber als Frauen daherkommen, und Frauen, die Frauen sind und sein sollen – ein wenig plausibler wirken lassen. Beim Betrachter ankommt ausschließlich ein eifriges Bemühen der Frauen, es besser zu machen als Männer – und sich in der Umarmung politisch korrekt der Mit-Dame zu nähern ohne wegen Übergriff Skandal zu kriegen. Selbst Cecila Bartolis Sesto ist darstellerisch in diesen delikaten Momenten erstaunlich unglaubwürdig.

Stimmlich ist La Bartoli ein Phänomen. Stimmumfang und Koloratur-Technik sind nach wie vor stupend. Im Stimmsitz, und das wird deutlich auffälliger und wird wohl auch einmal zu stören anfangen, liegt kein gesungener Ton direkt neben dem zweit- oder gar dritt-folgenden. Dass ihr Sesto für die bewegendsten Momente der Produktion steht, ist dennoch außer Frage. Daniel Behle als Tito Vespasiano muss darstellerische den langweiligen Selbstzweifler geben, seine sängerische Performance ist dabei brillant. Es gibt eine tiefe Stimme in der Oper: Ildebrando D'Arcangelo gibt mit reichem Timbre und gediegener Technik den – eigentlich – kaisertreuen Beamten Publio, der sich hier auf Seite der Aufständischen schlägt. Hat wohl Angst, dass die Regeln der Vergangenheit keine Rolle mehr spielen könnten, in einer menschlicheren Zukunft.

La Clemenza di Tito – eine weitere Aufführung heute Sonntag (19.5.) – Wiederaufnahme am 1. August - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS / Marco Borrelli
Zum Vorbericht Wer will Wahrheit?

 

 

 

 

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