Gute Verführungs-Aussichten im Villenviertel
LANDESTHEATER / DON GIOVANNI
11/01/16 Im amerikanischen Lifestile kennt er sich sehr gut aus, der italienische Regisseur Jacopo Spirei. „Cosi fan tutte“ hat er fürs Salzburger Landestheater 2013 im studentischen Milieu angesiedelt. Zwei Jahre zuvor ließ er Don Giovanni in einem herzigen Middle-Class-Villenviertel nach weiblichem Freiwild jagen.
Von Reinhard Kriechbaum
Diese charmante und durchwegs charismatische Inszenierung von 2011 hat man nun wieder aufgenommen. Abermals mit Simon Schnorr als Don Giovanni, aber sonst in komplett neuer Sängerbesetzung. Adrian Kelly dirigiert und macht aus einer Gruppe aus in Einzelnen gar nicht so außergewöhnlichen Stimmen ein mehr als überzeugendes Ganzes, mit präzis gearbeiteten Ensembles und überzeugender Musik-Dramaturgie in Tempi und Gewichtung.
Da ist also der Bösewicht, der dem Joker in Christopher Nolans Batman-Paraphrase „The Dark Knight“ unmittelbar nachempfunden ist. Aber kein Batman ist hinter Joker/Giovanni her, sondern eben die sitzengelassenen Damen und Don Ottavio, Polizeischüler und damit Hoffnungsträger eines Law and Order-Verständnisses, wie man es zwischen den schmucken kleinen Spielzeughäuschen wohl voraussetzt.
Trotzdem: Hinter jedem Wohnzimmerfenster eine aussichtsreiche Eroberung. Die Doppelmoral ist atmosphärisch greifbar, und das macht „Don Giovanni“ mehr als plausibel in diesem Umfeld. Jacopo Spirei zeigt sicheren Griff fürs „Dramma giocoso“, sprich: Der Regisseur schwingt nicht die Moralkeule und er vertraut rechtens darauf, dass sich das Psychogramm des Verführers aus der Musik (auf die er sehr genau hört beim Bebildern) und nicht aus aufgesetzten Regie-Zutaten erschließt. Das hat etwas leichtfüßig Ironisches, Verspieltes bis in die Schlussszenen hinein. Wenn plötzlich viele Don Giovannis auf der Bühne sind und sich quasi durchs Hintertürl gen Hölle vertschüssen, darf man getrost annehmen, dass der Komtur keine sexualhygienische Endlösung zuwege gebracht hat. Und prompt erleben wir im „Lieto fine“ Leporello als einen im Ensemble, der gewiss infiziert ist mit dem Don-Giovanni-Virus...
Simon Schnorr in der Titelrolle: einer der weiß, wie's wohl läuft hinter den Gardinen, der bloß die rechte Klangfarbe anschlagen muss. Schnorr gebietet über viele Timbres und er setzt sie mit Überzeugungskraft ein. Das von der Mandoline begleitete „Deh vieni alla finestra“ braucht dieser Giovanni nur einfach so für sich selbst zu singen, und schon zieht die Dame neugierig den Vorhang zur Seite. Nicht sein einziges musik-psychologisches Kabinettstück.
Die Opfer: Der Regisseur arbeitet mit solchen individuellen musikalischen Voraussetzungen auch bei den anderen Figuren, mischt unterschwellig die uneingelösten Sehnsüchte in das jeweils „offiziell“ Gesagte. Wie sehr wehrt sich doch Donna Elvira gegen das, was ihr Leoprello in der Registerarie offenbart! Sie will es einfach nicht wissen. Tamara Gura bringt folgerichtig nicht wenig lyrische Töne ins vordergründig Exaltierte. Lavinia Bini ist eine stimmlich große, fast zu dramatische Donna Anna. Dass sie sich den Don Ottavio (Kristofer Lundin) mit Erfolg vom Leib hält, nimmt man ihr sofort ab (wenn die beiden mal heiraten, gibt’s vorhersehbaren Konfliktstoff für eine weitere Oper). Übrigens sind beider Stärken die Koloraturen nicht.
Hannah Bradbury ist eine Zerlina mit überbordendem Charme. Sie folgt Don Giovanni zuerst nicht aus Naivität, sondern hofft das Beste für sich rauszuholen. Der virile Masetto (Raimundas Juzuitis) ist sicherlich kein Tölpel, er riecht Lunte. James Moellenhoff, einen amerikanisch Sänger, hat man als Komtur verpflichtet, ein weiterer Gast ist Florian Plock als Leporello: spielfreudig wie nur, stimmlich ein wenig neblig in der höheren Lage. Aber solche Vorbehalte zählen wenig in einer Aufführung, die vom Dirigenten so selbstverständlich gesteuert wird: Viel kammermusikalisches Raffinement kommt vom Mozarteumorchester, in einem insgesamt kernig gefassten, aber eben lichten und durchhörbaren Klangbild. Das wirkt genau passend dimensioniert fürs kleine Landestheater, das sich wieder einmal als wahres „Haus für Mozart“ in ein gutes Licht rückt. Diesen „Don Giovanni“ kann man herzeigen und hören lassen.