Sirenen im Kopf
ARGE KULTUR / TASCHENOPERNFESTIVAL
18/09/15 „Bronze bei Gold, Miss Douces Kopf neben Miss Kennedys Kopf über der Kreuzblende der Ormond-Bar, hörte die vizeköniglichen Hufe vorüberklappern, klingenden Stahl…“ Auch sonst klingelt und klingt so einiges im „Sirenen-Kapitel“ von James Joyce’s Roman „Ulysses“. Den Besucherinnen und Besuchen beim Taschenopernfestival 2015 in der ARGE klingelten jedenfalls Gedanken und Ohren.
Von Larissa Schütz
Wer keine Fragen stellt, hört auch keine Lügen. So heißt es zumindest im Programmheft. Bei fünf „Musiktheater-Uraufführungen“ mit drei Regisseuren möchte man dann allerdings doch die eine oder andere Frage stellen dürfen. Auch das Taschenopernfestival stellt ja alle zwei Jahre seine Fragen – ganz grundsätzliche Fragen an den Grenzen des Zeitgenössischen Musiktheaters: Welche Möglichkeiten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Fragen der Gegenwart eröffnen sich an den Schnittstellen von Musik, Sprache und Szene? Warum singt ein Mensch?
Klar, mit dem von James Joyce stammenden, zu Grunde liegenden „Ulysses“, genauer gesagt, mit dessen elfter Episode, ist schon rein aus der Sicht des Textverständnisses keine leichte Basis geschaffen. In dem von James Joyce selbst als „Sirenen-Episode“ bezeichneten Abschnitt reihen sich Gedanken an Erinnerungen und Wahrnehmungen. Im Zentrum der Taschenopern 2015 steht freilich der gesungene „Text“ – ausgelotet und aufgedröselt bis in seine kleinsten Bestandteile, Laute und Silben; das „Singen“ ausgelotet und aufgedröselt bis zum Flüstern und Hauchen.
Die Stücke und ihre teils bereits sehr namhaften Komponistinnen: Rinn von Ann Cleare. The End of the Song von Wen Liu. Bronze by Gold von Brigitta Muntendorf. Defekt von Sarah Nemtsov. Und Missing Jagoda“ von Jagoda Szmytka.
Der künstlerische Leiter des Taschenopernfestivals, Thierry Brühl, inszeniert zusammen mit Ernst Marianne Binder und Kristof Georgen. Joyce’s Text und Ideen lassen sich freilich manchmal nur schwer erkennen.
Nach dem langen, rein gesanglichen Stück „Rinn“ mit den vier Darstellerinnen Annika Boos, Soetkin Ebers Philine Passin und Conztanze Passin, der sehr fragmentarisch und starr ausfällt, folgt die überraschende Wendung. Von dieser recht still anmutenden Szene wird man plötzlich in eine gigantische Showeinlage geschmissen, die sich um die Eindrücke der Barszene in Joyce’s Erzählung dreht.
Zwei weiß gekleidete Conferencieres - grandios schnell und gewitzt Thomas Hupfer und Klaus Nicola Holderbaum - führen durch „Bronze by Gold“ der Simens-Musikpreisträgerin Brigitta Muntendorf. Die Mitglieder des oenm . österreichisches ensemble für neue musik – bis zu elf Musikerinnen und Musiker sind es beim Taschenoperfestival – geben technisch fulminant wie immer ihr Bestes. Diesmal unter der präzisen Leitung von Juan Gracía Rodríguez. Besonders interessant und reizvoll hier auch der Einsatz vier junger Sängerknaben (Paul Schrader, Rafael Hoffmann, Simon Leikermoser und Dominik Tiefgrabner), die in Lederhose und kariertem Hemd eine Mischung aus Gesang und Beatboxing liefern.
Zusammenfassen kann man die Premiere des Taschenopernfestivals am besten mit dem Begriff „Eindrucksflut“. Hier wurden wirklich alle Sinne bedient. Während des langen Schlussapplauses – und darüber hinaus in die Nacht - dürften sich bei den meisten Zuschauern die Gedanken noch in bester joyce’scher Manier im Kopfe gedreht haben.