Wer kennt Neusatz oder Újvidék?

REISEKULTUR / NOVI SAD

05/06/22 Die zweitgrößte Stadt Serbiens und Hauptstadt der Vojvodina ist wegen Corona ein Jahr verspätet zur Kulturhauptstadt Europas geworden. Erstmals trägt eine Stadt außerhalb der europäischen Union diesen Titel.

Von Wolfgang Stern

Seit jeher ist die Vojvodina ein Schmelztiegel der Völker und Religionen. Das kann man den vielen Namen ihrer Hauptstadt ablesen: Auf Kyrillisch schreibt man sie Нови Сад, auf Deutsch heißt sie Neusatz, auf Ungarisch Újvidék und auf Slowakisch Nový Sad. Die Stadt war noch in den 1990er Jahren Schauplatz unnötiger Kriegshandlungen, wobei viel Infrastruktur (vor allem die Brücken über die Donau) zerstört wurde. Doch Novisad erholte sich relativ rasch von diesen schrecklichen Ereignissen (Serbisch-kroatischer Krieg oder Nato-Bombardments). Es ist heute ein freundliche, einladende und lebendige Stadt mit rund 340.000 Einwohnern. Viel Jugend zieht es vor, statt in Belgrad hier zu studieren. Die Stadt lebt, eine Kneipe reiht sich an die andere, die fantastischen Fischlokale oder der eigene Strand an der Donau, das Umland im Süden mit der rund 450 m hohen Fruska Gora, einer Hügelkette, die man wegen der siebzehn orthodoxen Klöster auch den serbischen Berg Athos nennt, die gewaltige geschichtsträchtige Burg Petrovaradin oder die berührende Ebene der Vojvodina mit den unverfälschten Dörfern und Kleinstädten an Theiss und Donau, aber besonders die Altstadt zieht an.

Das bis heute spürbare Gemisch der Kulturen wird ergänzt durch das friedliche Nebeneinander der Religionen: Orthodoxe, evangelische, katholische Christen, Muslime und Juden leben in einer Stadt, die nach vorne schaut und durch unzählige Kulturveranstaltungen für eine Verbesserung ihres Rufs sorgt.

60 Millionen Euro stehen für das Kulturhauptstadtjahr zur Verfügung, die Botschaft lautet „Für neue Brücken!“ Über tausend Veranstaltungen sind geplant. Das breite Angebot spricht alle Altersstufen (vor allem die Jugend), alle Schichten der Bevölkerung und Interessensgebiete an. Die Geschichte der Stadt spielte in der Planung natürlich eine große Rolle. Man sollte in Erinnerung rufen, dass es Maria Theresia war, die das ehemals römische Neoplanta mit dem Titel einer königlichen Freistadt auszeichnete. Die Fama berichtet, Handwerker und Händler hätten für diesen Status 80.000 Forint locker machen. Sie wollten nicht länger Bewohner einer Militärsiedlung, sondern eben Bürger einer freien Handelsstadt sein. Und noch bis 1918 war Neusatz ein Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Ein nicht unwichtiges Thema wurde schon Anfang des Jahres abgehandelt, die Migration. Ausstellungen und Konzerte nahmen darauf Bezug. Wenn man sucht, kann man fündig werden. Es muss nicht immer das große Szenario sein. „Frauen in der Kunst“ oder „Die Zukunft Europas“ sind weitere Schwerpunkte, die zu einem Abstecher nach Novisad und seiner Kultur einladen. Der einfachere Weg dorthin ist von Wien kommend über Budapest und Szeged auf der Autobahn zur Grenze. Spätestens dort machen einem die langwierigen Kontrollen bewusst, dass man noch weit weg von einem gemeinsamen Europa ist. Das muss man in Kauf nehmen, um das diesjährige Kulturzentrum des Balkans zu erreichen.

Aufbruchstimmung erlebt man schon seit Jahren hier an der Donau, wo junge Menschen 2001 das vielleicht grüßte Musikfestivals des Balkans, „EXIT“, gründeten. Vom 7. bis zum 10. Juli wird es wieder so weit sein. Bereits zwei Mal wurde das Festival mit dem Best European Major Festival Award ausgezeichnet. Die historische Festung Petrovaradin aus dem 18. Jahrhundert ist Schauplatz, mit mehr als vierzig Bühnen in der malerischen historischen Kulisse. Aufgelassene Fabrikshallen, etwa die ehemalige Seidenfabrik in Almas, sind neue Orte der Begegnungen und Events.

Dezentralisierung spielte in der Planung der Kulturveranstaltungen eine wichtige Rolle. Vergleichbar sind diese EXIT-Tage mit dem Wiener Donauinselfest. Novisad zeigt, wie es funktionieren kann.

Abends lebt die Stadt auf, auf allen Plätzen und den idyllischen Gassen gibt es zusätzliche Aktionen, natürlich ist ein kühles Pivo eine angenehmer Begleiter. Novisad hat 2022 ganzjährig Saison, man blickt in die Zukunft und wartet auf Touristen, die sich noch nicht haben entscheiden können, ein wenig weiter in den Balkan vorzudringen. Vorurteile vergessen und einfach die Kulturhauptstadt erleben!

www.novisad2022.rs
Bilder: dpk / Wolfgang Stern