Die erste Oper ist eine der besten

PFINGSTFESTSPIELE / MONTEVERDI / L'ORFEO

29/05/23 Claudio Monteverdis L'Orfeo der„Urknall der Oper“ in ungewohntem Gewand: eine verzaubernde Matinee im Haus für Mozart am Pfingstsonntag (28.5.). Ein Marionetten-Guckkasten der besonderen Art und höchste musikalische Qualität sorgten für hellen Jubel, schon in den letzten Takt hinein.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die Mailänder Compagnia Marionettistica Carlo Colla & Figli hat ihre Wurzeln im späten 18. Jahrhundert und ist seit 1906 ein festes Theater. Vor sechs Jahren starb der letzte Nachkomme der Familie Colla, seit damals leiten Franco Citterio und Maria Grazia Citterio das Puppenspiel-Traditionsensemble. Beide zeichnen nun auch für die Regie, gemeinsam mit Giovanni Schiavolin, und für Bühne, Licht und Kostüme der Produktion von Monteverdis „Favola in musica“ verantwortlich. Diese älteste überlieferte Theaterfassung des antiken Mythos aus dem Jahr 1607 zündet heute noch immer und wird es weiterhin tun, denn zeitloser und gültiger als damals kann man die Geschichte nicht auf die Bühne bringen. Die verehrten Herren Gluck, Haydn, Krenek und viele andere samt ihren Librettisten haben alle tolle Opern verfasst und mögen diese Tatsache verzeihen, wenn die Nachricht davon sie im Parnass erreichen sollte. Hoppla, da gehört natürlich auch Offenbach dazu, aber der lächelt sicher auf seiner Wolke darüber.

Im Parnass, sozusagen der Kulturabteilung des Olymps, endet auch Monteverdis Oper. Diesmal fährt das silberne Schimmelgespann des goldenen Apoll mit dem Neuzugang Orpheus direkt in die Werkstatt des Marionettentheaters. Ja, das Theater, insbesondere das musikalische, ist ein Spiegel der Welt unter einem wie immer gearteten Himmel.

Vorher beglückte fast zwei Stunden lang ein Wunderkasten, gestellt ins unsichtbare Bühnenbild von Glucks „Parma-Fassung“, das Publikum. Einzige Kritik: Warum werden keine Operngläser mehr verliehen, wie es früher in Theatern gute Sitte war? Die Puppen kann man im Programmheft näher bewundern. Im Haus sind sie schon in der dreizehnten Reihe in recht weiter Ferne, da eben für kleine alte Theater bestimmt. Dennoch gibt es genug zu schauen und mit der Zeit gewöhnt man sich an die Dimensionen.

Diese Art des Theaters ist eine gute Möglichkeit, in historischen Bühnenbildern und Kostümen zu schwelgen, innerhalb eines kostbar ausstaffierten Guckkastens voll mit Assoziationen und farbenprächtigen Bildern von der hellenischen Antike bis in die Renaissance. Mit großem Geschick verwendet das Leitungsteam dabei moderne Lichttechnik und wabernde Nebel. Die Puppen, grandios geschnitzt, gewinnen im Verein mit ihren aus dem Orchestergraben tönenden Stimmen ein ganz eigentümliches Leben. Maestro Monteverdi in persona setzt das Geschehen gleichsam gemeinsam mit Frau Musica in Bewegung und die Zeit vergeht dank des Reichtums an gemalten, projizierten und gebauten Szenerien wie im Flug. Der funkelnde Wohnsitz von Pluto und Proserpina, ein auch als Marionetten sehr menschliches Führungspaar der Unterwelt, erinnert ein wenig an alte Inszenierungen der Offenbach-Travestie. Die wilden Tiere sind putzig wie einst in der „Zauberflöte“.

Gianluca Capuano holt mit seinem großartigen Spezialensemble für die Musik der Renaissance aus den Reihen von Les Musiciens du Prince-Monaco und seinem Chor Il Canto di Orfeo alle Schönheiten aus der Musik, mit Violen und Theorben, Blockflöten und Posaunen, Zink und Harfe und so weiter. Das dramatische Feuer springt sofort über, die geniale Tonarten-Dramaturgie und Textausdeutung Monteverdis sorgt für zutiefst berührende Gesänge der Trauer und der Liebe, die der Geheimnisse größtes ist.

Rund um den herrlich wohltönenden Spielbariton von Reanato Dolcini als Orfeo gruppieren sich, oft in noch mehr Rollen als den hier angeführten, die hochkarätigen Stimmen von Carlotta Colombo (ein lyrischer Sopran als La Musica und Euridice), Sara Mingardo (welch ein Alt als Trauerbotin und Hoffnung!), Salvo Vitale und Marco Saccardin (zwei kernige Bässe als Fährmann Caronte und Pluto), Elena Carzaniga (eine Silberstimme als Proserpina), Francesca Cassinari (Nymphe), Massimo Lombardi (Hirte und Geist), Jocopo Facchini (Hirte und famoser Chorleiter!) und Massimo Altieri (ein gleißend tenoraler Apoll). Am Ende verbeugen sich die singenden Menschen gemeinsam mit „ihren“ Puppen.

Bilder: Salzburger Festspiele / OMC / Marco Borrelli
Zur Hintergrund-Geschichte Ein Werbeclip mit Orpheus