In die Unendlichkeit

HÖRVERGNÜGEN / GRIGORIAN / HINTERHÄUSER

03/05/24 Zeugnis einer glücklichen künstlerischen Paarung ist die Neuaufnahme der Vier letzten Lieder von Richard Strauss mit der Sopranistin Asmik Grigorian und Markus Hinterhäuser am Klavier. Als programmatische Doppelung erklingt auf der CD auch die Orchesterfassung.

Von Andreas Vogl

Vier plus vier ergibt in punkto Richard Strauss die liegende Acht – das Zeichen für Unendlichkeit. Laws of Solitude ist der eigenwillige, offenbar von Asmik Grigorian gewählte Titel einer zweifachen Aufnahme von Strauss letzten Liedkompositionen (nur Malven ist als Einzellied noch später entstanden). Vier letzte Lieder. Ein Abgesang auf die Romantik, auf das 19. Jahrhundert, auf eine Zeitspanne, welche nach dem Zweiten Weltkrieg das Ende einer Ära und kurz vor dem Tod des Komponisten im Jahr 1949 auch ein Sinnieren über Weltflucht, „Tod und Verklärung“ antizyklisch beendet.

Es handelt sich um die drei Gedichte von Hermann Hesse „Frühling“, „September“ und „Beim Schlafengehen“ sowie um „Im Abendrot“ von Joseph von Eichendorff. Die Uraufführung, der vom Verleger Ernst Roth als Vier letzte Lieder zusammengefassten Kompositionen war 1950, nach dem Tod des Meisters, in London unter Leitung von Wilhelm Furtwängler mit der unvergleichlichen Kirsten Flagstad. Interessant und korrekt der zeitliche Vergleich im Booklet-Text von Nicolas Derny: Während Strauss diese letzten Noten schrieb, vollendete Pierre Boulez bereits seine zweite Klaviersonate. Welche Zeitenwende!

Und wer hat nicht danach alles mit diesem berühmten Gesangszyklus reüssiert. Einige Aufnahmen seien exemplarisch hier genannt und sprechen durch ihre Namen für sich selbst: Elisabeth Schwarzkopf 1965 unter George Szell, Leontyne Price 1974 unter Erich Leinsdorf, Gundula Janowitz auch 1974 unter Herbert von Karajan, Jessye Norman 1982 mit Kurt Masur, Kiri Te Kanawa 1990 unter Georg Solti, Renée Fleming sowohl 1996 unter Christoph Eschenbach als auch mit Christian Thielemann 2009, Karita Mattila unter Claudio Abbado 1999. Weitere Namen großer Sopranstimmen, die unvergesslich mit den Vier letzten Liedern verbunden sind, sind Lisa della Casa, Arleen Auger, Soile Isokoski, Nina Stemme und Anja Harteros. Zur Zeit vermag wohl einzig Lise Davidsen durch wagnerische Strahlkraft, lyrische Intimität und pure Stimmschönheit diesem Werk gerecht zu werden. 

Die in Salzburg durch die beiden Strauss-Rollen der Salome (2018+2019) sowie der Chrysothemis in Elektra (2020+2021) berühmt gewordene Litauerin Asmik Grigorian verfügt über eine ausdrucksstarke und tragfähige Stimme. Die hier besprochene neue CD-Aufnahme lässt zwei Fassungen des Zyklus gegenübergestellt wirken: die gängige Orchesterfassung (Orchestre Philharmonique de Radio France unter Mikko Franck) und die seltene Klavierfassung erstellt von Max Wolff (Lieder 1 bis 3) und John Gribben (Lied 4). Klavierpartner ist niemand geringerer als Markus Hinterhäuser. Durchschnittlich ist jedes Lied hier circa eine Minute länger in der Klavierfassung. Hinterhäuser kostet die Vor- bzw. Nachspiele gekonnt aus und spielt diese klangschön, intensiv als gedankliche Verbindung zur musikalischen Unendlichkeit bzw. Transzendenz korrelierend zu den von Abschied, Übergang und Tod erzählenden Texten.

Hier wird tiefgehend abgewogen, jedes Wort hat Bedeutung, jede Note wird in die Waagschale der Süffigkeit und ernsthaften Auseinandersetzung mit den Werken gelegt. Dabei erscheint die eigentlich von Strauss genial orchestrierte Version – man höre das Horn in September, die überirdische Solo-Violine Beim Schlafengehen, die „andersweltigen“ Lerchenfiguren der Flöten im Abendrot – vom französischen Orchester sicher fein gespielten Aufnahme, fast alltäglich. Gespannt darf man sein, wenn im Sommer, das Klangbild der Wiener Philharmoniker unter Gustavo Dudamel bei den Festspielen als ausgebreiteter Teppich auf die wunderbare Sängerin trifft. Derweil zum Einhören ist die Klavierfassung mit den beiden „Salzburger“ Ausnahmekünstlern wegen ihrer Intensität auf dieser CD absolut hörens- und empfehlenswert! Asmik Grigorian schreibt hierzu im Begleitheft: „ Markus Hinterhäuser ist schlichtweg ein Magier in allem was er tut. Das gemeinsame Musizieren … gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein.“

Richard Strauss. Vier letzte Lieder (Orchester- und Klavierfassung). Laws of Solitude / Asmik Grigorian. Orchestre Philharmonique de Radio France / M. Franck. Markus Hinterhäuser (Klavier).
ALPHA1042 (CD) & ALPHA1052 (Vinyl)