Frankreich verfügt erstaunlicherweise über mehr Komponistinnen als Deutschland. Diese standen, vor allem im 19. Jahrhundert, dennoch meist im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Und jedes Lob war zugleich mit dem abqualifizierenden Urteil „ein für eine Frau außerordentliches Talent“ verbunden. Oft absolut zu Unrecht!
Jeanne-Louise Farrenc hatte es wenigstens zu Lebzeiten besser, allein schon durch ihren Lehrer Antonín Rejcha, der ihr Satztechnik und Kontrapunkt vermittelte, die sie etwa in ihren frühen „air russe varié“ op. 17 – vermutlich über ein eigenes Thema – nutzbringend anwendete. Dazu kam ein Ehemann, der als Musikverleger die Werke der Gemahlin der Öffentlichkeit zugänglich machte. Für ihre Kammermusik setzte sich nicht zuletzt Joseph Joachim ein. Ihre drei hörenswerten Sinfonien blieben zu Lebzeiten der Schöpferin freilich Manuskript.
Die Pianistin Biliana Tzinlikova, aus Bulgarien gebürtig und am Mozarteum lehrend, wurde nach ihren Welt-Ersteinspielungen von Werken Franz Anton Hoffmeisters und Stephen Hellers nun bei ihrer ehemaligen Kollegin als Klavierprofessorin am Conservatoire de Paris fündig: Ausgegraben hat sie vier Variationszyklen von Jeanne-Louise Farrenc über beliebte Themen aus bekannten Werken.
Da ist also die Kavatine „Nel veder la tua costanza“ aus Gaetano Donizettis Oper „Anna Bolena“, in der Biliana Tzinlikova in ihrer Einspielung vorerst einfühlsam dem Belcanto der Vorlage nachspürt. Verspielte Triller und verzierend aufgesetzte Arabesken prägen dann rhythmisch pulsierende Veränderungen, denen sich Tzinlikova, der Vorgabe entsprechend, „leidenschaftlich“ ergibt. Welch brillantes Finale!
Ebenfalls früh auf der Werkliste Jeanne-Louise Farrencs stehen die Variationen über eine zart-melancholische „russisch“ inspirierte Arie op. 17, deren erste Noten – abgeschattet Richtung Moll an das Lied „Üb‘ immer Treu und Redlichkeit“ gemahnen. Schumann attestierte „nette canonische Spiele“ und lobt – doch auch recht herablassend und zweischneidig - „Sogar eine Fuge gelingt ihr.“
Auch auf dieser CD bietet die Pianistin Biliana Tzinlikova wiederum Weltpremieren. Die erste gilt den „Grandes Variations“ über ein nicht näher zu bestimmendes Thema des Wiener Aristokraten Wenzel Robert Graf von Gallenberg op. 25 im Original für Klavier und Orchester, dessen Ritornell-Zäsuren sich hörbar leicht auf die Tasten übertragen ließen. Die zweite Weltpremiere gilt dem tänzerisch angehauchte Duett „C‘est la féte de village“ aus George Onslows Oper „Le Colporteur“ op. 10: Ideales Parkett für die Pianistin, um darauf ihre Können auszubreiten: perfekt gestaltete glitzernde Kaskaden, virtuose Läufe, rollende Tremoli und schwungvoll kräftig Attacken reitende Akkorde lassen die immerhin gut fünfzig Minuten wie im Flug verlaufen: eine hörenswerte Bereicherung sowohl für Klavier-Freaks wie auch Freunde romantischer Musik, durch Gottfried Franz Kaspareks informativen Einführungstext gehaltvoll garniert.