Ach Putin, Rasputin, Putin

LESEPROBE / HOFMANN / BULGAKOV

18/03/22 Er ist einer der großen Stillen – nicht nur – der Salzburger Kulturszene: Georg Maria Hofmann. Musiker und Dichter. Vertriebener aus Ungarn 1956. Gründer der Hofhaymer Gesellschaft. Sein Stück Bulgakow. Der Dichter und sein Diktator hatte 2003 Uraufführung im Landestheater. Wie visionär und aktuell! – Hier das vierte Bild Wie in Kiew und der Epilog als Leseprobe.

Von Georg Maria Hofmann

IV. Bild WIE IN KIEW

Schostakowitsch und Bulgakow sitzen einander gegenüber, zwischen ihnen das Telephontischchen, eine Karaffe und schöne Gläser. Telephon am Boden.

SCHOSTAKOWITSCH: Bei Ihnen war ER sechzehnmal, bei Ihrem Turbin.
BULGAKOW:             Nein, nur fünfzehnmal.
SCHOSTAKOWITSCH: Dann fünfzehnmal.
                                      Bei mir im Bolschoj-Theater, bei meinem Macbeth,
                                      ist ER einfach mittendrin
                                      auf-ge-standen!
BULGAKOW:             Der Tyrannenmord war nicht auszuhalten. Für IHN. Vielleicht.
SCHOSTAKOWITSCH: Was wollen Sie damit sagen?
BULGAKOW:             Ich will nichts sagen, verehrter Meister Schostakowitsch.
                                      Doch für empfindliche Männer …
                                      ich selbst kann nicht zusehen,
                                      wenn eine Frau ihrem Mann Gift in die Suppe mischt.
                                      Sogar im Hamlet schließe ich die Augen bei der besagten Szene
                                      und halt mir die Ohren zu.
SCHOSTAKOWITSCH: Sie wollen mir unterstellen, dass ich IHN
BULGAKOW:             Wen? Hamlets Stiefvater?

SCHOSTAKOWITSCH: Stellen Sie sich doch nicht so dumm, Bulgakow.
                                      Dass ich IHN als Tyrann … So meinen Sie!
BULGAKOW:             Sie sind jetzt zu gereizt, Dimitri Dimitrijewitsch,
                                      das sind Gespenster.
                                      Wir sprachen nur über Stücke von Shakespeare.
SCHOSTAKOWITSCH: Ja in der Tat. Nur von meinem Macbeth.
                                      Ich dachte schon, Sie sind ein Agent provocateur.
                                      Wo Sie doch SEIN Liebling sind.
BULGAKOW:             Ich SEIN Liebling!?
SCHOSTAKOWITSCH: Fünfzehnmal in der Weißen Garde, pardon, bei den Turbins.
BULGAKOW:             Vierzehnmal sicher. Einmal fraglich.
SCHOSTAKOWITSCH: Ja, einmal früher weg. Gleich nach dem Suliko-Lied. Exakt.
BULGAKOW:             Ja. Nach dem Lied. Exakt. Woher wissen Sie das?
SCHOSTAKOWITSCH: Das weiß jeder in Moskau.
BULGAKOW:             So. Ich wollte das fatale Lied gar nicht drin haben.
SCHOSTAKOWITSCH: Warum denn nicht. Das ist SEIN Lieblingslied.
                                      ER muss immer weinen – sagt man – wenn er es hört.
                                              Lange suchte ich dein Grab,
                                               lange schwankte ich, Suliko.
                                               Aber ich kann dich nicht finden ewig nicht,
                                               wo find ich dich, mein Suliko“
Schostakowitsch singt das Lied mit düsterer Miene. Auch ihm kommen Tränen. Vielleicht aus Neid auf Bulgakows Erfolg bei Stalin. Bulgakow aber faßt Schostakowitsch’ Düsterkeit als eine ironische Darbietung auf. So beginnt er selber mit der zweiten Strophe, durch Lachkrämpfe unterbrochen.Obwohl Bulgakow und Schostakowitsch nichts getrunken haben, wirkt das Duo als Kabarettnummer zweier Besoffener: eines Lustigen, eines Todtraurigen. Ljuba Beloserskaja betritt den Raum. Sie ist erstaunt, verblüfft, aber das Spektakel gefällt ihr.
LJUBA:                        Genosse Bulgakow!
                                      Genosse Schostakowitsch!
                                      Was ist hier los, meine Herren?
SCHOSTAKOWITSCH: (erstarrt)
Nichts, nichts, Frau Beloserskaja.
                                      Verzeihen Sie unsere Albernheit. Ist wirklich peinlich.
                                      Wir feiern nur diesen hohen Besuch, vierzehnmal …
LJUBA:                        Jaja, das ist, wie Sie sagen, höchste Anerkennung von Oben.
SCHOSTAKOWITSCH: Vom Obersten von Oben. Von der Spitze.
                                      Und vom Untersten. Unten. Pardon.
LJUBA:                        (hört Schostakowitsch nicht richtig zu) Das kann man wohl sagen.

SCHOSTAKOWITSCH: Ja, ganz recht, Frau Beloserskaja.
                                      So einen Erfolg wünscht sich jeder … jedem  (verwirrt) jedem. Jeder.
                                      Leider. Ich muss jetzt gehn.
Schostakowitsch verabschiedet sich plötzlich. Dies mit Handkuß und in jeder Hinsicht sehr höflich, wie ein Herr Alter Schule sich von einer Dame verabschiedet.
SCHOSTAKOWITSCH: Leben Sie wohl, Bulgakow.
BULGAKOW:             Leben Sie wohl, Schostakowitsch.
SCHOSTAKOWITSCH: Weitere so schöne Erfolge. Wirklich.
Schostakowitsch weg.
LJUBA:                        (ohne Ironie) Ich hab den großen Meister vertrieben
                                      Ich störte Ihr wichtiges Gespräch.
(Ljuba ist nie ironisch Männern und ihren Rollenansprüchen gegenüber: solange sie als schöne Frau ihren unbestreitbaren Platz hat, sind für sie die Männer Genies oder tüchtige Arbeiter: in ihrem abstrakten Wert unantastbar.)
BULGAKOW:             Wir haben nur herumgealbert.
LJUBA:                        (ganz schmeichelnde Raubkatze)
                                      Zwei so wichtige Männer albern in Wirklichkeit nie.
Bulgakow klappt sein schönes Zigaretten-Etui auf und bietet Ljuba an. Ljuba, als Dame der Großstadt, auslandserfahren, wählt eine Zigarette, die sie in ihre Zigarettenspitze steckt, welche sie aus ihrer Handtasche herausfischt. Bulgakow gibt ihr formvollendet Feuer. Wortlos hält Ljuba Bulgakows Hände fest, um das Silberetui und das Feuerzeug sowie Bulgakows schmale Hände mit dem Siegelring bewundern zu können.
LJUBA:                        (anerkennend) Das Feinste vom Feinen.
                                      Und hier: ist das ein Familienwappen?
Bulgakow zieht seine Hände vorsichtig zurück.
BULGAKOW:             Ja, noch aus Kiew.
Sie rauchen und betrachten sich gegenseitig. Kräftemessen der Blicke: Raubkatze mißt Äffchen.  Ljuba nimmt auf dem einen Thonet-Stuhl Platz und erwartet, dass Bulgakow den Platz ihr gegenüber einnimmt, doch Bulgakow weicht ihr aus, er läßt sich  in den Plüschsessel plumpsen. Sein Benehmen paßt zu seiner sonst formvollendeten Höflichkeit nicht. Ljuba zieht mißbilligend die Augenbrauen in die Höhe.
LJUBA:                        Tatjana rief mich an, dass Sie so krank sind, Michail Afanasjewitsch.
                                      Ich hab mich total abgehetzt, und was seh ich:
                                      Sie und Meister Schostakowitsch im vergnüglichen Gespräch.
                                      Und? Wo ist Tatjana jetzt?
BULGAKOW:             In der Apotheke wegen meinem Rheumatismus.
                                      In dieser Hundshitze, stellen Sie sich vor.
                                      Sie holt meine Tabletten gegen diese Schmerzen und gegen Kopfweh.
                                      Und inzwischen ist mir auch noch eine Geschwulst gewachsen.
                                      Hinter dem Ohr. Soll ich’s zeigen?
LJUBA:                        Ja. Zeigen Sie mir. (sie lacht in sich hinein ob Bulgakows naiven Charmes)

Ljuba nimmt Bulgakows Kopf sehr zärtlich in die Hände.
LJUBA:                        Na, wo tut’s weh?
BULGAKOW:             (vertraulich, ohne Falsch) Da, ja da. Sehen Sie? Hinter dem linken Ohr.
LJUBA:                        Ja, wirklich, es ist ja ganz geschwollen.
BULGAKOW:             Ich fürchte so, dass  geschnitten werden muss.
                                      Spital. Brrr. Frau Beloserskaja. Ich fürchte mich vorm Spital.
LJUBA:                        Sie sind doch selber Arzt.
BULGAKOW:             Gerade deswegen fürchte ich.
                                      (er zuckt zusammen und bohrt seinen Kopf in Ljubas Arme,
                                      beziehungsweise drückt er seinen Kopf an ihren Busen)
                                      Ljuba! Darf ich’s so sagen? Die schneiden mich!
                                      Die zwicken mich! Die quälen mich!
LJUBA:                        Nein Michail, es muss nicht immer geschnitten werden.
                                      Wir legen irgendetwas darauf, Tatjana und ich. Irgendwelche nasse Fetzen.
                                      Was weiß ich. Und die Beule geht zurück.
BULGAKOW:             (entsetzt)
Nasse Fetzen! Sie legen nasse Fetzen auf mein Ohr,
                                      (fast mit Kinderstimme) auf mein Ohrli.
LJUBA:                        Auf dein Ohrli. Kindchen. Sie sind mir einer.
                                      Doch, ich verstehe Sie.
                                      Eigentlich müßten Sie weit weg von hier. Vielleicht nach Frankreich,
                                      nach Nizza, nein, nach Paris …
BULGAKOW:             Ja,  nicht wahr? Meinen Sie auch?
LJUBA:                        Ja, freilich. Ich selbst versteh nicht, wieso ich hierher zurückgekommen …
BULGAKOW:             Ja. Sie aus Nizza und Paris!
                                      Wissen Sie! Dieses Geschrei! Überall! Dieses unzivilisierte Volk,
                                      die schrecklichen Leut’, die dir überall jetzt dreinreden dürfen!!
                                      Und der Lärm! Hunderte Lautsprecher auf den Straßen.
                                      Ich fürchte, ich fürchte, dass ich nicht seh, nicht hör
                                      im ständigen Gegröl, und jemand überfährt mich, bevor ich’s merk.
                                      Nur die Kachelwand hier ist friedlich. Ob warm oder kalt.
 
                                     Ein bißchen ähnlich wie in unserem Haus:
                                      bei den Eltern noch. Am Andrejewskij-Hang, Sie wissen: in Kiew.
LJUBA:                        Ja. Daheim. In Kiew.
BULGAKOW:             Sie verstehen mich? Ja?
                                      Draußen jault es, drinnen heult es.
                                      Mein Ohr, so denk ich, wollt mich nur schützen. Wenn es zuwachsen tät,
                                      stürzte der Lärm des Pöbels nicht so brutal auf mich.
                                      (er schluchzt hemmungslos auf)
                                      So brutal! Die zertrümmern mein Hirn, Ljubatschka.
LJUBA:                        Nichts zertrümmern die, das lassen wir nicht zu.
BULGAKOW:             Doch, doch, sie zertrümmern … (er schluchzt)
LJUBA:                        Beruhige dich, mein Herzchen.
BULGAKOW:             (blickt von unten Ljuba groß an) Herzchen?
LJUBA:                        Ja, Herzchen. So alt schon und noch so klein.
BULGAKOW:             Sie lieben mich ein bißchen? Wie Mama.
LJUBA:                        (schaut ihn lange an)
BULGAKOW:             Ein ganz kleines bißchen?
LJUBA:                        (schaut)
BULGAKOW:             Mama war eine sehr schöne Frau, das müssen Sie wissen.
LJUBA:                        (schaut ihn weiter zärtlich an)
BULGAKOW:             Ein ganz, ganz wenig? Ja? Sie lieben Michail ein ganz bißchen?

LJUBA:                        Ja. Ja. Wie Mama, Michail.
BULGAKOW:             Aber Mama liebte mich sehr! Nicht nur ein bißchen!
LJUBA:                        Ja. (sie nickt zur Bekräftigung eher für sich selbst als für Bulgakow)
                                      Nicht nur ein bißchen.
BULGAKOW:             (schlau) Küßchen fürs Ohrli?

Ljuba küßt Bulgakows Kopf, erst dort, wo ihm das Ohr weh tut.

BULGAKOW:             Auch hier, zur Vorbeugung.

                                      (er zeigt das rechte Ohr. Ljuba küßt ihn rechts) Und da! Und da!
E
r zeigt auf sein rechtes Auge, dann sein linkes Auge, dann seine Stirn, dann wieder das Ohr. Ljuba reißt die Geduld. Sie küßt ihn besitzergreifend auf den Mund. Bulgakow läßt es geschehen. Während dieses Kusses tritt Tatjana in den Vorraum, sie schaut hinein, sie erfaßt die Situation. Sie nickt. Dann stellt sie in der Küche ihre Einkäufe ab.
BULGAKOW:             (flüsternd) Das war aber nicht mehr wie Mama.
TATJANA:                   (von außen, sachlich) Endlich, in der vierten Apotheke, Michail!

Ljuba und Bulgakow fahren etwas auseinander, doch sie bleiben in Umarmung, Ljuba tut, als ob sie nur Bulgakows Geschwulst visitieren würde. Tatjana tritt herein. Sie schaut.
LJUBA:                        Dem Michail ist jetzt auch noch eine Geschwulst hinter dem Ohr gewachsen.
BULGAKOW:             (zu Tatjana) Willst du meine Geschwulst gar nicht sehen?
TATJANA:                   Später.
Sie läßt sich auf einen Thonet-Stuhl fallen.
Stille.
Bulgakow rollt sich in seinem Plüschsessel zusammen. Er schmollt.
BULGAKOW:             (trotzig) Wenn nicht, dann nicht.
Er wendet sich im Sessel wie in einem Bett von den Frauen ab. Dann scheint er einzuschlafen. Tatjana nestelt mit Medikamenten und mit Apothekenrechnungen herum.
LJUBA:                        (setzt sich zu ihr) Das vorhin. Es tut mir leid. Hat aber nichts zu bedeuten.
TATJANA:                   (schaut Ljuba nicht an) Doch, doch. Ich wußte, dass es so kommen wird.
LJUBA:                        Himmelherrgott, ich musste hier herrennen wie zu einem kranken Kind.
TATJANA:                   Das ist er auch.
                                      Und jetzt müssen Sie ihn nehmen.
LJUBA:                        (schaut)
TATJANA:                   Das kranke Kind. Eben.

_ _ _

XV. Bild EPILOG
BULGAKOW:            
(ihr nachäffend)
                                      Unter Reseden, ja, Tulpen, und was noch.
Er findet seine Lampe.
BULGAKOW:             So, selbst das Licht wollte sie mir nehmen.
Er versucht, auf das Bett zu klettern, doch er ist zu schwach dazu. Abwehrende Handbewegung.
BULGAKOW:             Ach was!
Er rutscht etwas nach vorn, setzt sich auf.
Er greift nach seiner Brille auf dem Nachtkästchen und setzt sich diese auf.
BULGAKOW:             Knapp vor dem … Tod
                                      siehst du die Welt
                                      viel klarer
                                      obwohl du blind …
                                      Die mich grad wegträgt, die Törichte, wird blöd schaun.
                                      Wegtragen! Mich!
                                      Was bildet sie sich ein.
                                     
Was bildet IHR– (er hustet erregt)
                                      euch alle ein!
                                      IHR, die meine Sachen …
                                      habt nicht
                                      drucken …
                                      nicht aufführen … wollen …
                                      nicht lassen.
                                      Mein Meister … und Margarita!
                                      Ich wollte leben!
                                      Nicht im Gulag hier

                                      kläglich vegetieren!
                                      Blind! Um zu sehn, was ist:

                                      Gulag! Gulag!
                                      Doch jetzt:
                                      hinprojiziert auf meine Retina …
                                      torkeln vorbei
                                      die kommenden Gestalten –
                                      was wird und was war –
                                     
ER liegt ermordet, kläglich im Sarg … (flüsternd)Bruder“ Stalin!
                                      zwischen Tulpen und Reseden. Haha!
                                   
mein Meister, (abwehrende Handbewegung) Ach was!
                                      Ich bin der Meister!
                                      L’Etat c’est moi!
                                      Ihr werdet mich noch
                                      kennenlernen! –  Mein Werk
                                      in hunderttausend Sprachen!
                                      Ihr müsst mich ewig lesen!
                                      Mein Leben,  mein einzig-wunderbares Leben …
                                      Ach Putin, Rasputin, Putin
                                    
über eure Köpfe wachs ich hin– (er hustet)
                                      Im goldbesetzten G’wand
                                      die Töchterchen …
                                      meine Töchterchen…

                                      Die Patronen springen kreuz und quer

                                      durch den Raum … 
                                      Was ist das! Ein Wunder!
                                      Heilige Mutter Gottes
                                      – so dachten die Soldaten –
                                      die Mutter Gottes schütze sie

                                      doch das war nur der Goldschatz
                                      der Zaren-Dynastie.
                                      So war’s doch??? Oder?
                                      Nicht einmal Intrige, noch weniger Denunziation!
                                      Hört ihr? Nicht einmal Denunziation
                                      brauchte ich fürs Überleben.
                                      Könnt ihr das alle behaupten hier?
                                     
Wirklich?  (er lacht)
                                     
(ruhig) Nein. Für bisschen dies
                                                  Für bisschen das
                                                  verkauft ihr alles.

                                     Ich aber, obwohl elend und arm,
                                      hab nichts verkauft, nichts verraten.
                                      Nie … und so gesehen
                                      war ich … was heißt war,
                                     BIN ICH der wahre Meister!
                                     
(er sinniert müde nach)
                                    
Und so gesehen (er hustet)
                                      doch so gesehen,
                                      war alles auch schön,
                                      ein tolles Leben gewesen. Merci.
Er drückt das Licht aus.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

 Georg Maria Hofmann: Bulgakow. Der Dichter und sein Diktator. Tragische Komödie in 12 Bildern. Thomas Sessler Verlag
Georg Maria Hofmann feierte am Donnerstag 17. März seinen 89. Geburtstag. DrehPunktKultur gratuliert