Ein Schellack mit Brass Band

BUCHBESPRECHUNG / STILLE NACHT

24/12/18 Ob das Lied Stille Nacht nun wirklich „nahezu zufällig“ entstanden ist, wie es auf dem Umschlag des die derzeit laufende Landesausstellung begleitenden Buches heißt, sei dahin gestellt. Joseph Mohr zumindest hatte den qualitätvollen Text am Heiligen Abend 1818 schon in der Schublade.

Von Reinhard Kriechbaum

Wer aber die Kirchenmusik von Franz Xaver Gruber kennt, seine Hochzeitsmesse, seine Hornmessen und manch kleineres Stück, kann sich gut vorstellen, dass Gruber tatsächlich im Handumdrehen diese Melodie notiert hat. Er war ein guter Melodienerfinder...

Wie dem auch sei. Drei Bücher sind es, aus denen man wirklich Profundes über Stille Nacht erfahren kann: über die Liedschöpfer Mohr und Gruber, über die politische und wirtschaftliche Situation der Entstehungszeit, über das konkrete Leben in Oberndorf damals – und natürlich auch über die umwegige Verbreitung und die Rezeptionsgeschichte.

Jenes von Werner Thuswaldner haben wir an dieser Stelle bereits vorgestellt. Er hat aus den profund recherchierten Tatsachen eine spannende, anschauliche Geschichte mit literarischem Anspruch gemacht (im Residenz Verlag). Tina Breckwoldt, eine ausgewiesene Historikerin, nähert sich mit ihrem bei Servus erschienenen Buch quasi von der nüchternen Seite dem Thema. Es ist aufschlussreich, wie verschiede Autoren aus dem im Grunde identischen Material schöpfen. Die Stärke von Tina Breckwoldts ist es, dass sie eine ziemlich komplette Sozial- und Landesgeschichte Salzburgs in der Epoche der Aufklärung mitliefert. Und quasi als persönliche Note hat sich die Autorin, hauptberuflich Dramaturgin und PR-Dame bei den Wiener Sängerknaben, auch mit Liedtexten und Gedichten beschäftigt, die Mohr und Gruber „kannten oder gekannt haben könnten, die sie möglicherweise beeinflusst haben, die einen besonderen Aspekt des Liedes oder seiner Geschichte beleuchten helfen“.

Nobles Gold haben die Graphiker diesem Buch verordnet, als ob sie gegensteuern wollten in jenen Wochen, in denen das Lied auch von vielen weniger Berufenen nach Kräften versilbert wird. Der Preis für die noble Erscheinungsform: Wer nach den im Buch abgedruckten Noten singen will, wird sich zumindest im flackernden Kerzenschein schwer tun.

Der Salzburger Musikwissenschafter Thomas Hochradner und der Präsident der Stille-Nacht-Gesellschaft, Michael Neureiter, sind die Herausgeber jenes Buchs im Verlag Anton Pustet, das den wissenschaftlichen Über- und Unterbau zur Landesausstellung im Salzburg Museum liefert. Ein großes Team von (meist Salzburger) Wissenschaftern und Museumsleuten hat dazu beigetragen. Auch da macht man so manchen Fund: „Von der mechanischen Spieldose zum elektronischen Download“ etwa heißt ein Beitrag. Wer hat sich schon je den Kopf darüber zerbrochen, wie alte und neue Technologien die Verbreitung konkret dieses Lieds beeinflusst haben? Ab 1895 bot eine Stuttgarter Firma Christbaumständer mit eingebauter Spieluhr an – und die konnten natürlich auch Stille Nacht. So was wäre mal ein Flohmarkt-Schnäppchen!

A propos: E. Berliners Grammophon war die Marke, unter der die erste Stille-Nacht-Schallplatte erschienen ist, 1898, in London aufgenommen mit einem Brass Quartet. Schellack ist eine Mischung aus „Schieferpulver, Russ, Baumwollflocken oder Tierhaaren und dem harzigen Ausscheidungsprodukt der Schellacklaus“. Was man nicht alles lernen kann aus einem Buch über Stille Nacht.

Tina Breckwoldt: Stille Nacht. Ein Lied mit Geschichte. Servus Verlag bei Benevento, Salzburg-München 2018. 200 Seiten, 24 Euro – www.servus-buch.at
Thomas Hochradner, Michael Neureiter (Hg.): Stille Nacht. Das Buch zum Lied. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2018. 288 Seiten, 29 Euro – www.pustet.at
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Countdown. Morphing. Kindelwiegen.