Barock als Freiheitszügler

BUCHBESPRECHUNG / ANTON THUSWALDNER

15/03/17 Wie kann schon aufhören, was mit dem Barock anfängt? Kein Wunder, dass Salzburg offenkundig von einer fröhlichen Barock-Apokalypse in die nächste taumelt und sich von den Fesseln des absolutistisch-erzkatholischen Obrigkeitsdenkens und -fühlens nicht recht befreien kann. Und vielleicht gar nicht will.

Von Reinhard Kriechbaum

So sieht es jedenfalls Anton Thuswaldner in seinem Buch-Essay „Mit dem Barock fängt alles an. Warum Salzburg so ist, wie es ist“. Gleich vorausgeschickt: Ein Essay (oder Feuilleton) ist keine historische Facharbeit. Es geht nur aus von der Geschichte. Anton Thuswaldner begibt sich als Schreibender in Gefilde des lustvollen Interpretierens, in die Historiker aus wissenschftlicher Lauterkeit heraus nicht mal mit der Schuhspitze treten wollten.

Das bedingt, erst einmal, eine frische Sicht: Anton Thuswaldner schaut nicht hinter die Barockfassade, sondern er sieht sich das Treiben quasi auf dem Trottoir der Stadt an. Als typischer Salzburger – also einer mit migrantischen Wurzeln (Thuswaldner ist 1956 in Lienz zur Welt gekommen, und die Sippschaft kommt mehrheitlich aus Kärnten) – kann er sich auch nach Jahrzehnten des Hierseins über vieles nur wundern: vor allem über die Dauer-Diskrepanz zwischen Aufbrechen-Wollen und den dann garantiert laut werdenden bremsenden Zurufen der Ewig-Gestrigen.

Solche sind also in Thuswaldners Interpretation jene Menschen, die den Barock in den Genen haben. Gene, die geradezu zwangsläufig eine ausgewachsene Barock-Neurose nach sich ziehen... Lustig zu lesen ist das allemal, weil natürlich schnell klar wird, dass der Autor in diesem Büchlein mit Entsetzen Scherz treibt.

Der Barock-Dämon am Ort? „Die Salzburger leben mit dem Barock auch jetzt, da die Säkularisierung breiten teilen der Bevölkerung ein kostbares Gut geworden ist. Demokratie kommt schlecht aus mit dem Erhabenen und Heiligen.“ Dom, Kirchen, Residenz werfen also lange Schatten, „weisen immer noch darauf hin, dass sich der Platz des Einzelnen im Schatten dieser Gebäude zu befinden hat“.

Klar, dass eine solche Analyse der Spannungen zwischen Aufbruch und Beharren an Colloredo und dessen „kleiner Salzburger Aufklärung“ beginnt. Weniger geläufig sind zwei „Kampfhähne“ rund ums Revolutionsjahr 1848.  Franz Xaver Schmidt war ein höchst aufmüpfiger Kirchenmann, der mit seinen Ansichten seinem Erzbischof die Haare unter der Mitra sich aufstellen ließ: „Pharisäertum ist Buchstabe des Gesetzes – das Christentum ist Geist des Gesetzes.“ Whow! Antisemit war er obendrein, was aus heutiger Sicht das positive Urteil deutlich schwerer macht. Journalistisch-publizistischer Gegenspieler von Erzbischofs Gnaden war damals ein gewisser Joseph Schöpf, egentlich ein in Schafspelz gehüllter Traditionalisten-Wolf, aber immehin ein Kämpfer für die Freiheiten von Protestanten und Juden.

Klar, dass Anton Thuswaldner nicht vorbei geht an der Re-Barockisierung durch die Festspiel-Gründerväter Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal - was der Autor dann weiterführt bis zu „Alexander Pereira, eine Art Harald Serafin der Hochkultur“. Neues Barock-Despotentum ortet Thuswaldner im heute immer wieder, nennt die angedrohte Schließung von Servus TV ebenso wie die Querelen ums „Affentor“ von Jörg immendorff und anderen Interventionen gegen Kunst im öffentlichen Raum. Sogar bis zu den heutigen Arbeits- und Bettler-Migranten geht Anton Thuswaldner: eine mehr gut gemeinte als gute tagesaktuelle Abrundung, die gar ein wenig aufdringlich, oberlehrerhaft ausgefallen ist.

Aber es geht ja in dem Buch um den Anstoß zum Denken, nicht um die unumstößliche Wahrheit. Und den ewigen Kampf zwischen barocker Lebensfreude und barockem Absolutismusdenken, aufklärerischen Maßnahmen gegen die Zügellosigkeit und einer (in der Provinzstadt gelegentlich mehr als skurril wirkenden) Sehnsucht nach Überregionalität: Solche Diskrepanzen sind lustvoll beschrieben. Nach ein paar Jahrzehnten Salzburg ist der Autor für barocken Stil schon anfällig. Da sollten vielleicht die Alarmglocken schrillen, denn: „Barock als Freiheitszügler lässt sich nicht vertreiben, er hat sich eingegraben in die Seelen der Leute, besetzt den Willen, greift über auf das Denken. Er ist der Alarmmelder alles Abweichenden, der strenge Innovationsstopper, der keinen Spaß kennt, wenn sich der Einzelne zu weit aus dem Fenster lehnt, weil er die frische Luft des Unerreichten atmen will.“

Anton Thuswaldner: Mit dem Barock fängt alles an. Warum Salzburg so ist, wie es ist. Verlag Müry Salzmann, Salzburg Wien 2017. 80 Seiten, 15 Euro – www.muerysalzmann.at

Buchpräsentation morgen Donnerstag (16.3.) um 17 Uhr im Hubert Sattler Saal im Bankhaus Spängler Makartplatz 6