Jedermann ist gestorben

TODESFALL / PETER SIMONISCHEK

30/05/23 „Unser Ensemblemitglied und Ehrenmitglied Peter Simonischek ist am 29. Mai in der Nacht auf den 30. Mai im Kreise seiner Familie zu Hause in Wien verstorben.“ Das meldete als erstes das Burgetheater in einer Aussendung heute Dienstag (30.5.) am frühen Vormittag. Nicht nur, aber vor allem als Jedermann war Peter Simonischek eine prägende Figur der Salzburger Festspiele mit 210 Auftritten – davon 91 als Jedermann und 29 als Tod.

Von Heidemarie Klabacher

Torquato Tasso in der Regie von Dieter Dorn 1982 und1983. Der Okeanos in der Uraufführung der Aischylos Übersetzung von Peter Handke Prometheus, gefesselt 1986. Der Horch in Elias Canettis Hochzeit in der Regie von Axel Corti 1988 an der Seite von Vilma Degischer, Victoria Trauttmansdorff, Julia Gschnitzer oder Traugott Buhre.

1991 das erste Mal Jedermann – und zwar als Tod zu Helmuth Lohners Jedermann in der Inszenierung von Gernot Friedel. 1992 in Stanislaw Wyspianskis Wesele. Das Hochzeitsfest als Wernyhora der letzte auf der langen von Joachim Bißmeier angeführten Besetzungsliste. 1992, 1993, 1994 wieder der Tod im Jedermann. 1995 und 1996 der Leonid Andrejewitsch Gajew in Peter Steins Kirschgarten-Inszenierung auf der Bühne von Karl-Ernst Herrmann an der Seite von Jutta Lampe, Dörte Lyssewski oder des späteren Schauspielchefs Sven-Eric Bechtolf.

2002 dann nicht mehr der Tod, sondern der Jedermann im Jedermann in der Regie von Christian Stückl an der Seite der in unvergessliches Rosa gekleideten Veronica Ferres als Buhlschaft 2002, 2003 und 2004. Den Tod hatte Jens Harzer übernommen. Die Buhlschaften kamen und gingen, Nina Hoss 2005 und 2006, Marie Bäumer 2007, Sophie von Kessel 2008 und 2009. Dazwischen Lesung im Konzert der Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti 2006 oder Gast des Dichters zu Gast 2007. 2012 der Friedrich Wilhelm in Heinrich von Kleists Prinz Friedrich von Homburg und Lesung aus dem Briefwechsel Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss. 2013 Sprecher in der Uraufführung der Passion Giordano Bruno von Gerhard Wimberger in der Mozart-Matinee mit Hans Graf. 2016 der Prospero in Shakespeares Sturm in der Regie von Deborah Warner. 2016 Sprecher in Peter Eötvös Halleljua.Oratorium balbulum. 2017 der Stanley in Harold Pinters Geburtstagsfeier in der Regie von Andrea Breth. Und – stimmiger hätte das Festpielfinale nicht ausfallen können – 2018 Solo-Lesung aus Heinrich von Kleists Essay Über das Marionettentheater.

Es folgte am 22. August 2020 noch die Lesung 100 Jahre Jedermann mit Klaus Maria Brandauer, Philipp Hochmair, Tobias Moretti, Cornelius Obonya, Peter Simonischek und Veronica Ferres, ergänzen die Salzburger Festspiele in ihrem Nachruf auch den wohl wirkliche letzten Archiv-Eintrag. 

Ein reiches, ein überreiches Bühnen-Leben, ein grandioser Künstler. Ein Erlebnis und Geschenk jede Bühnenbegegnung.

In seiner Abschiedsrede an das Jedermann-Ensemble habe Simonischek 2009 gesagt, berichten die Salzburger Festspiele in ihrem Nachruf, er habe sich bereits mit acht Jahren in den Jedermann verliebt: „Da gab es in unserem Schullesebuch ein Foto von einem Schauspieler, der an einer gedeckten Tafel stand, einen Blumenkranz in den Haaren hatte, mit strahlender Miene einen Becher hoch hielt und scheinbar eine launige Rede hielt. Über seine Schulter schaute der Tod mit nacktem Schädel und Gerippe. Der Bekränzte in Siegerpose schien den Gesellen hinter sich noch nicht zu bemerken, während die schöne Frau an seiner Seite schon entsetzt auf die Erscheinung starrte. Ein Bild von hoher Dramatik und metaphorischer Kraft, das mich als Kind faszinierte und das ich immer wieder ansehen musste. Als Bildunterschrift stand: Hugo von Hofmannsthal, Jedermann, Attila Hörbiger und Judith Holzmeister am Domplatz in Salzburg. Ich habe dieses Bild wohl in meinem Herzen bewahrt, wie andere die Idole ihrer Generation, Matthias Sindelar, den ‚Papierenen‘ oder Toni Sailer, den dreifachen Olympiasieger. Das war der Boden, auf den der Antrag der Festspiele fiel…“

Peter Simonischek wurde 1946 in Graz geboren. Nach dem Besuch der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Graz führten ihn erste Engagements in die Schweiz, ans Staatstheater Darmstadt und ans Schauspielhaus Düsseldorf. Von 1979 bis 1999 gehörte er zum Ensemble der Berliner Schaubühne und arbeitete dort etwa mit Peter Stein, Klaus Michael Grüber, Luc Bondy und Andrea Breth.
Bei den Salzburger Festspielen spielte er 1982 die Titelrolle in Goethes Torquato Tasso. Zwanzig Jahre später dann acht Jahre lang bis 2009 verkörperte er den Jedermann in der Inszenierung von Christian Stückl. „Seit der Spielzeit 1999 gehörte Peter Simonischek zum Ensemble des Burgtheaters. Im Jahr 2016 wurde er zum Kammerschauspieler ernannt und ist seit 2019 Ehrenmitglied. Das weite Spektrum seiner Rollen, denen er seinen so wandelbaren wie nicht zu verwechselnden darstellerischen Stempel aufdrückte, reichte von Shakespeares Oberon und Julius Cäsar über Hofmannsthals Unbestechlichen und Schnitzlers Hofreiter bis hin zu Gustav Heink in Hermann Bahrs Konzert und Yvan in Kunst von Yasmina Reza“, schreibt das Burgtheater in seinem Nachruf. „Immer wieder arbeitete er während dieser Zeit auch mit Andrea Breth, zuletzt 2012 war er Friedrich Wilhelm in Kleists Prinz Friedrich von Homburg.“ Für seine Verkörperung des Afzal in The Who and the What von Ayad Akhtar erhielt er den Nestroy. „Unvergesslich auch sein Mendel Singer in Joseph Roths Hiob und zuletzt Matthias in Simon Stones Komplizen“, so der Burgtheaterblick auf die vielfältigen Rollen und Charaktere. Simonische arbeitete etwa mit Andreas Kriegenburg, Karin Beier, Philipp Tiedemann, Thomas Langhoff, Peter Zadek, Alvis Hermanis, Jan Bosse und Felix Prader zusammen.
Über das Theater hinaus wirkte Peter Simonischek seit 1979 in Filmen etwa von Axel Corti, Margarete von Trotta und Julian Pölsler mit. Für seine Titelrolle in Toni Erdmann erhielt er 2016 als erster österreichischer Schauspieler den europäischen Filmpreis als bester Darsteller. Die deutsch-österreichisch-rumänische Gemeinschaftsproduktion machte bei den Filmfestspielen in Cannes Furore, wurde mit dem Fipresci-Preis der internationalen Filmkritiker- und Filmjournalisten-Vereinigung ausgezeichnet und wurde für den „Auslands-Oscar“ nominiert.

Zu den weiteren zahlreichen Auszeichnungen zählen der deutsche Kritikerpreis, das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, die Mitgliedschaft in der Akademie der Künste Berlin, das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien und die Verleihung des Professorentitels und der Ehrendoktorwürde.

„Mit seiner einzigartigen Bühnenpräsenz füllte er die beeindruckenden Dimensionen des Domplatzes mit Leichtigkeit, mit jeder Zelle seines Körpers war er der Jedermann“, sagt Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser. „Peter Simonischek war mit einer Überfülle an Qualität gesegnet, er war das, was man im besten Sinne des Wortes einen Publikumsliebling nennt – und das vollkommen zu Recht.“

Bild: www.burgtheater.at /  Katarina Šoškić