Europa geht gar nicht

HINTERGRUND / MUSEUM DER MODERNE

08/07/22 Geschlecht. Herkunft. Kritik an der kulturellen Konstruktion von Weißheit (kein Tippfehler): Das sind die Kriterien, nach denen das MdM derzeit Kunst kauft. Also nicht männlich, nicht europäisch, nicht weiß.

Von Heidemarie Klabacher

Neuankäufe sollen „auf sinnvolle Weise Sammlungslücken schließen, bestehende Konvolute erweitern oder neue Sammlungsschwerpunkte aufbauen“. Grade Neuankäufe gehen meist Backstage vor sich: „Die Sammlungspolitik eines Museums wird selten in der Öffentlichkeit diskutiert.“ Wozu auch. Dafür gibt es ja die Fachleute und deren Expertise. Aber Experten und Expertinnen mag man in Österreich nicht so. Siehe Corona. Weil also „offizielle Berichte über die Anzahl der neuen Ankäufe, Schenkungen und Dauerleihgaben oft abstrakt bleiben“, geht das Museum der Moderne Salzburg eigene Wege und „präsentiert dem Publikum eine Auswahl aus den Neuzugängen der letzten sieben Jahre in einer großen Sammlungsausstellung“. Wir zitieren den Pressetext. Sprich: Man zeigt in einer Ausstellung, was man gekauft hat. Unser Steuergeld. Unsere Bilder und Installationen.

Die Schau mit dem sinnlichen und anregenden Titel Sammlungspolitik. Neuzugänge im Museum der Moderne Salzburg will Einblicke geben in die Sammlungspolitik des Museums und transparent machen, „nach welchen Kriterien Werke Eingang in die Sammlungen gefunden haben“.

Jetzt wird’s eng. Wichtiges Kriterium für Kunst (nicht nur für bildende) derzeit? Geschlecht und Herkunft. Man will nämlich Versäumnisse der Vergangenheit auf- und ab-arbeiten und künftig „ein besonderes Augenmerk auf die Werke von Künstlerinnen legen, um die deutliche Asymmetrie zugunsten männlicher Positionen längerfristig auszugleichen“. Weiters gelte es, „die bisherige Orientierung an der österreichischen, westeuropäischen und nordamerikanischen Kunstgeschichte zu erweitern, die bis auf wenige Ausnahmen eine Befragung oder Hinterfragung des eurozentrischen Blicks vermissen lässt.“ Frei übersetzt: Europäische Kunst stellt sich zu wenig selbst in Frage und das muss sich ändern, wenn die Kunst es bis ins Museum schaffen will. Der „ethnographic turn in contemporary art“ sei in den Sammlungen am Museum der Moderne bislang unterrepräsentiert. Damit gemeint seien „künstlerische Strategien die auf anthropologische und ethnografische Methodiken zurückgreifen und sich Fragen der kulturellen Differenz, Diversität und Repräsentation widmen“.

In Bilder übersetzt, heißt das etwa: Jojo Gronostay und (RE-)CREATION aus 2021. Not Vital (Der ist aber weiß und männlich UND Schweizer) und seine elegante Arbeit Leua aus dem Jahr 2020. Ana Hoffner ex-Prvulovic aus der Serie Disavowals or cancelled confession aus 2016 oder Alien Flag Drawings des grandiosen Yinka Shonibare (ihm galt 2021 die überwältigende, krititsche und zugleich wohltuend ironische Schau End of Empire). Er und sein Werk sind aber auch ohne PC Zierde und Gewinn für jedes Museum, für alle Kunstinteressierten. Ein Yinka Shonibare ist zwar männlichen Geschlechts, in London geboren und Commander of the Britisch Empire – aber/und sein Werk zielt ins Herz des „Eurozentrismus“, wenn er Skulpturen der Griechischen Antike oder barocke Korsetts und Reifröcke mit knallbunten „typisch afrikanischen“ Stoffen überzieht, deren teuerste in Holland hergestellt werden...

„Die Zeiten, in denen unter Weltkunst vornehmlich weiße Kunst verstanden wurde, während andere Positionen und damit verbundene Wertvorstellungen und ästhetische Konzepte aus dem Olymp des White Cube ausgeschlossen blieben“, sind jedenfalls vorbei. „Stattdessen steht die kritische Auseinandersetzung mit der cultural construction of whiteness, so Kobena Mercer, auf der Agenda. Einen weiteren Forschungs und Sammlungsschwerpunkt bildet die europäische Ost-West-Problematik, um aus künstlerischer Perspektive zu reflektieren, was Europa für uns und
für unsere Identität bedeutet.“ Es gelte die Hybridität in jenem „dritten Raum“ zwischen den Kulturen zu erforschen, gefragt sei ein „polyperspektivisches Denken, das die herkömmlichen Narrative und Wahrnehmungsstereotypen dekonstruiert und auflöst“. Von der Bildenden auf die Bühnen Kunst übersetzt könnte das heißen, dass man nicht mehr Goethe und Kleist spielt.

Bei der jüngsten Documenta Kassel hat die dem Außereuropäischen neuerdings so vehement aufgeschlossene Branche das nicht-europäische-nicht-weiße Kuratorenteam Kollektiv ruangrupa aus Indonesien (die kennt man hierzulande von der vorigjährigen Sommerakademie) ganz jämmerlich auflaufen und im Regen der Polical Correctnes stehen lassen: Es wurde ihnen – aus europäischer Sicht völlig zurecht – der Vorwurf des Antisemitismus gemacht.

Sammlungspolitik. Neuzugänge im Museum der Moderne Salzburg – bis 6. November im MdM Mönchsberg -  www.museumdermoderne.at
Bilder: MdM; Yinka Shonibare CBERA (1); Ana Hoffner ex-Prvulovic* (1); Jojo Gronostay (1); Eric Gregory Powell (1)