Ein Wimmelbild der Zirkuskunst
WINTERFEST / NOFIT STATE CIRCUS
28/11/24 Irgendwann verlässt die Dame am E-Piano ihren Platz in der Band und schwebt, Akkordeon spielend und singend, hoch in den Lüften. Aber das verwundert einen zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr, denn da hat man auch als Zuseher längst den Boden der Manege verlassen und fühlt sich irgendwo in der Zirkuskuppel schweben.
Von Reinhard Kriechbaum
Was ist das für eine Truppe! Immerhin siebzehn Leute sind in der Manege unterwegs, davon machen fünf Musik, aber die sind – siehe Klavierspielerin – nicht allein dafür zuständig. Den Trompeter zum Beispiel entdeckt man plötzlich dabei, wie er Salti durch den Reifen schlägt. Bei so vielen Menschen, die der NoFit State Circus für seine Produktion Sabotage aufbringt, kommt schon einiges zusammen an artistischer Potenz – und das ist hier wirklich nicht nur ein Aneinanderreihen von Nummern, sondern tatsächlich kraftstrotzende und zugleich fein choreographierte Artistik zur Potenz. Die kommt in sagenhafter Dichte daher, so dass man gleich nochmal von vorne anfangen möchte zu schauen. Könnte ja leicht sein, dass man vieles gar nicht mitbekommen hat, weil sich die Augen gerade irgendwo anders verfangen haben in diesem scheinbar ungeordneten Wimmelbild der Zirkuskunst.
Es geht nicht auf ebener Erde los: Die Manege im großen Compagniezelt hat offenbar einen Unterbau. Da kommen auch Leute aus Bodenklappen. Einer versucht, Golfbälle einzulochen, bekommt aber immer mehr davon von unten um die Ohren geworfen. Eine aussichtslose Unternehmung. Genau so wird es sein an diesem Abend: Die Kunststücke nehmen sonderbare Wendungen, sie gehen oft unerwartet aus. Der Titel Sabotage meint nicht hinterhältige Unternehmungen der anderen, um Kolleginnen und Kollegen die Show zu stehlen. Es ist wie im echten Leben: Gut gemeinte und vermeintlich ordentlich vorgeplante Dinge bekommen ein Eigenleben, wenn mehrere Leute an einer Sache beteiligt sind und unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen. Das wird geradezu uferlos phantasiereich vorgeführt, mal überdreht, mal mit leiser Nachdenklichkeit. Und es kommt immer ein wenig anders, als man es erwartet.
Schon wie sie aussehen! Sie scheinen Kostümbildern aus älterer und neuerer Zeit entsprungen. Der altmodische Blumenkavalier schafft es mit seinem Strauß aufs Trapez, wird die Blumen aber mangels Partnerin bald hinunter werfen. Es gibt auch leichtere Methoden, sich behindernder Kleidungsstücke zu entledigen, als auf einem Trapez balancierend. Das meiste, was die Mitglieder dieser fulminanten Truppe aus Wales bieten, spielt sich hoch in der Luft ab. Wer am senkrechten Seil hängt, schaukelt, turnt, tanzt, hat meist einen Gegenspieler am anderen Ende des Seilzugs, der Balance wegen. Es geht ja so oft turbulent auf und ab in dieser Produktion. Schon das suggeriert wie selbstverständlich: Einer allein richtet meist nichts aus im Nouveau Cirque. Es geht um Interaktion, die gelingt – oder zum Lachen komisch daneben geht.
Sabotage verlangt so manchen Umbau, und da rücken die Protagonisten mit Fahrrad-Wägelchen an, auf Rollschuhen, auf Räder-Brettern, mit denen man sonst schwere Blumentöpfe oder Möbelstücke verrückt. Wahrlich genug zu schauen also, immer vergnüglich – und immer ein bisserl subversiv. Zu jeder Person, zu jeder Kostümierung, in der sie gerade steckt, ist man versucht sich eine Geschichte auszudenken. Immer noch eine und noch eine, denn der NoFit State Circus geht verschwenderisch um mit seinen Ressourcen. Aus dieser Artistik und aus solchen Einfällen machen andere Truppen zwei oder gar drei Produktionen.
Die Musik ist ein eigenes Kapitel, sie geht, wie die Kostüme, durch die Stile und Zeiten. Sie passt immer haargenau zur Szenerie, geht es um Körperkunst auf dem Trapez, an senkrechten Seiles, an der Stange oder an hängenden Leitern. Oder um Reifen, die eine Könnerin dieses Metiers nicht nur ums Fußgelenk, sondern auch um den Haarzopf kreisen lässt. Überhöht die Artistik die Musik oder ist es genau umgekehrt? Für beide Seiten jedenfalls allergrößte Begeisterung am Mittwoch (27.11.) beim Winterfest-Auftakt.
Der NoFit State Circus ist bis 15. Dezember zu Gast. Das Winterfest dauert bis 6. Jänner – www.winterfest.at
Bilder: Winterfest / Magdalena Lepka