Scheitern am Narzissmus

SCHAUSPIELHAUS / DIE WILDENTE

08/05/24 Wenn Theo Helm als Gregers Werle und Antony Connor als Hjalmar Ekdal auftreten, gewinnen zwei literarische Charaktere sogleich plastische Lebendigkeit. Man nimmt ihnen die sich entwickelnden monströsen Typen auch menschlich ab. Wie das gesamte Ensemble die Konstruktion der Wildente mit überzeugendem Leben erfüllt.

Von Erhard Petzel

Die straffe Führung der Handlung und das Einsparen von Nebenfiguren funktionieren ausgezeichnet und lassen das Geschehen flott fließen. Gehen auch manche Bezüge Ibsens verloren, erfolgt insgesamt in der Regie von Irmgard Lübke in der Ausstattung von Marlene Lübke-Ahrens eine Verdichtung der Interaktionen.

Im Zentrum des Dramas stehen narzisstische Störungen, verursacht durch Kränkung und mutwillig aufgerufen. Gregers Werle kann seinem unternehmerisch höchst erfolgreichen Vater (Harald Fröhlich) weder seine Seitensprünge (diese seien schuld an Mutters Tod) noch geschäftlichen Volten verzeihen. So habe dieser sich aus einem Prozess herausgewunden, der seinen damaligen Kompagnon ruiniert und ins Gefängnis gebracht hat. Das war Leutnant Ekdal (Marcus Marotte), Vater Hjalmars, der nun als seniles Wrack im Dachboden des Haushalts seines Sohnes mit Haustieren und alten Christbäumen das verloren gegangene Forstwesen kompensiert.

Besonders stolz ist man auf eine Wildente, die vom alten, allmählich erblindenden Werle nur angeschossen worden war, über Umwegen den Weg zu den Egdals gefunden und es nun zum Lieblingstier der Tochter Hedwig (Johanna Klaushofer) gebracht hat. Die Wildente stellt aber nicht den einzigen Bezug des alten Werle zu den Ekdals dar. Er hat der Familie aus der Patsche geholfen, Hjalmar die Ausbildung zum Photographen bezahlt, beschäftigt den alten Ekdal ohne Gewinn und hat dem jungen seine ehemalige Hausangestellte Gina (Julia Schmalbrock) als Ehefrau zugeschanzt.

Ein Kuvert mit Schenkung zum 14. Geburtstag Hedwigs macht klar, dass sie eher nicht zufällig unter der gleichen Augenkrankheit wie der alte Werle leidet. Hjalmar ist von Gregers schonungslos auf die Wahrheit vorbereitet worden, jetzt fällt sie ihm wie Schuppen von den Augen.

Wollte Gregers missionarisch Läuterung durch Wahrheit und damit eine reine und perfekte Familiensituation erreichen (hat mit seinem Anspruch der idealen Forderung immer schon Unheil bewirkt), scheitert er am Narzissmus des gekränkten Hypochonder Hjalmar. Der verstößt das bisher innig geliebte Kind und will die Familie verlassen...

Mit Strindberg hat Ibsen ebenfalls einen fotografierenden Kollegen als Modell. Hjalmar verliert in seinem gekränkten Stolz seine Hedwig, die zur Wiedererlangen seiner Liebe nicht die geliebte Wildente opfert, sondern gleich sich selbst.

Gegenpol zu Gregers ist Dr. Relling (Jens Ole Schmieder). Er brandmarkt Gregers Ideale als Lügen und kuriert die Leute, indem er sie in ihren Lebenslügen zu ihrem Glück bestätigt. Selbst erweist er sich als Absteiger. Etwas grob die Idee, seine gescheiterte Liebe, Werles Wirtschafterin und künftige Ehefrau Sørby (Susanne Wende), gewaltsam zu küssen und dafür eine Ohrfeige zu beziehen. Insgesamt ist die Personenführung in der Regie Irmgard Lübkes aber sehr klar und eindringlich ohne unnötiges Outrieren. Marlene Lübke-Ahrens bietet mit einem befensterten Eckteil auf Podium, weiß lackiertem Tisch mit Sessel aus einem ärmlichen Nachkriegshaushalt, Sofa, Dachboden-Verschlag und alter Flügeltür eine so einheitliche wie funktionelle Bühne zu schaffen, die geschickt bespielt wird. Die verhetzte Besserwisserei Gregers findet sich in unseren aktuellen Diskursen erstaunlich deutlich wieder. Ebenso das von ihm diagnostizierte Wildententum Hjalmars. Wer aller von uns beißt sich – schlecht angeschossen – nicht auch am Grund des Meeres im eigenen Dachboden fest?

Die Wildente – Aufführungen im Studio des Schauspielhauses Salzburg bis 22. Juni – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: SSHS / Jan Friese